In zerstörter Welt die persönlichen Werte finden – Tanja Maljartschuk, ukrainische Jungliteratin, bei ULNÖ

Sie war Gast in Krems, lebt jetzt in Wien. Und schreibt an ihrem neuen Roman: „Biographie eines zufälligen Wunders“. Für magzin.at sprach Wolfgang Kühn mit der Jungautorin über Literatur, ihr Leben in Österreich und die Ukraine.
Tanja Maljartschuk, ukrainische Gastautorin des Literaturhaus NÖ
Tanja Maljartschuk – 1983 geboren in der Ukraine (Foto: © Ingo Petramer)
von Wolfgang Kühn |

Als Artist-in-Residence war die ukrainische Autorin Tanja Maljartschuk Anfang des Jahres zwei Monate zu Gast in Krems. Jetzt ist sie Wahlwienerin. „Ich lebe nun schon fast ein Jahr in Österreich und habe mich hier nie als Fremde gefühlt. Ausländerin ja, aber niemals eine Fremde. Die österreichische Art des Denkens, die Art zu leben, zu essen, ja selbst der österreichische Humor stehen mir sehr nahe.“

Die ganze Welt ist für mich Ukraine

Tanja Maljartschuk ist ein wenig verwundert, dass eigentlich kaum Verbindungen zwischen Österreich und der Ukraine bestehen, außer einer k.u.k.-Vergangenheit und einigen Firmen in Wien, in denen ukrainische Oligarchen ihr Geld angelegt haben.

Auf die Frage, ob sie in Österreich bestimmte Dinge vermisse, meint sie, dass sie ursprünglich Angst hatte – auch weil man es ihr oft prophezeit hatte –, dass sie in einem Land mit anderer Sprache ihr eigenes Idiom verlieren würde. Und Sprache sei für sie alles, ihre Heimat, ihr Zuhause.

Kiew: Blick vom Höhlenkloster auf den Djnepr
Kiew: Blick vom Höhlenkloster auf den Djnepr (Foto: © Helga Ewert / pixelio.de)

Klar, manchmal fehlt es ihr, sich einfach auf Ukrainisch unterhalten zu können. Aber mittlerweile ist ihr klar geworden, dass die eigene Sprache ohnehin nicht so einfach verloren geht, selbst wenn die Autorin es wollte: Die Sicht der Dinge, Tanja Maljartschuks „Weltblick“, ist ukrainisch – die ganze Welt ist Ukraine, und da mache es keinen Unterschied, wo sie sich gerade aufhalte.

„Wien ist verrückt und konservativ zugleich“

„Ich mag Wien – das ist die erste Stadt in meinem Leben, in der ich mich wirklich wohl und frei fühle. Wien ist verrückt und gleichzeitig konservativ. Wie ich selbst. So kommen wir gut miteinander aus. Ich mag die rauchgeschwängerten alten Kaffeehäuser. Ich mag das österreichische Deutsch, die österreichische Aussprache und die Dialekte. Ich mag die österreichische Polizei – das ist schwer nachzuvollziehen, aber die österreichische Polizei ist die erste Exekutive, vor der ich keine Angst hatte. Ehrlich gesagt, mag ich hier alles – außer Bier.“

Wer bin ich? – Wie man unversehens Literatin wird

Die ukrainische Schriftstellerin Tanja Maljartschuk
Ich werde zwei Mäntel haben – doppelt reich. Tanja Maljartschuk (Foto: © ULNÖ)

Von der Ukraine nach Wien umzuziehen war für sie ein großer Schritt und auch eine große Belastung. Ein großes Umdenken in so banalen, aber wichtigen Fragen wie „Wer bin ich?“, „Was mache ich?“ und „Was will ich wirklich tun in meinem Leben?“.

Früher hätte sie sich nie­mals selbst als Schrift­stellerin bezeich­net, hatte im­mer behaup­tet: „Ich schreibe zum Spaß, so lange, bis ich etwas Inter­essan­teres gefun­den habe.“ Das hat sich mit­tler­weile grund­legend geändert. Die Um­stän­de haben sie ge­zwun­gen, Far­be zu be­ken­nen, und nun kann sie sa­gen: „Ich schreibe, weil es nichts Inter­essan­teres gibt.“

„Das ist mein Schicksal und damit muß ich mich abfinden. Möglicherweise nennt man diesen Prozeß Erwachsenwerden. Das ist vielleicht auch der Grund, warum ich jetzt an meinem ersten Roman arbeite. Zuvor hab ich fünf Kurzgeschichtenbände geschrieben.“

Zwei Kulturen, zwei Mäntel – doppelt reich

Auf die Frage, ob es möglich sei, die „Heimat“ (wie einen Mantel) abzulegen und eine andere anzunehmen, meinte die 1983 in Ivano-Frankivsk geborene Autorin:

„Es gibt keinen Grund, einen anderen Mantel anzuziehen, die Heimat zu ändern. Ich bin Ukrainerin und werde bis zu meinem Lebensende Ukrainerin sein. Es ist schlichtweg unmöglich, jemand anderer zu werden, als man bereits ist. Ich bin kein kleines Kind, das (alles) vergessen kann.

wiedererbaute Klosterkirche St. Michael in Kiew
Die Klosterkirche St. Michael in Kiew. Unter Stalin wurde sie 1936 gesprengt. In den 90er Jahren wurde sie wieder aufgebaut. (Foto: © bildpixel / pixelio.de)

Anders verhält es sich damit, eine völlig neue Kultur anzunehmen. Das ist schwierig, aber gleichzeitig faszinierend und aufregend. Ich möchte diese neue Kultur auch zu meiner eigenen machen. Dann bin ich doppelt reich. Und ich werde zwei Mäntel haben.“

Von Bichsels „Kindergeschichten“ zu Thomas Bernhard

Die erste Lektüre, die Tanja Maljartschuk auf Deutsch gelesen hat, waren originellerweise russische Märchen und die „Kindergeschichten“ des Schweizer Autors Peter Bichsel. Dieser ist zu einem ihrer Lieblingsautoren überhaupt geworden und sie fragt sich, warum sie ihn nicht schon früher entdeckt hat.

Tanja Maljartschuk kennt eine ganze Reihe österreichischer Autorinnen und Autoren persönlich, nicht aber deren literarische Arbeiten, weil es für sie noch zu schwierig ist, komplexe Textstrukturen in der neuen Sprache zu dekodieren. Aber das ändert sich zum Glück sehr schnell und Tanja hofft, dass bald der Tag kommen wird, an dem sie beispielsweise völlig selbstverständlich zu „Wittgensteins Neffe“ von Thomas Bernhard greifen wird.

Pawlowsche Reflexe &  Angst vor der Diktatur in der Heimat

Platz der Unabhängigkeit in Kiew
Platz der Unabhängigkeit in Kiew (Foto: © Helga Ewert / pixelio.de)

Mit dem Problem Aus­länder­feind­lich­keit in Öster­reich ist sie bislang kaum kon­fron­tiert worden. Erst ein, zwei Mal hat sie eher un­an­genehme Situ­atio­nen er­lebt, und zwar dann, wenn der Ter­minus „ukrainisch“ mit ihr in Ver­bin­dung gebracht wurde. Und das nicht, weil damit in erster Linie „Aus­länderin“ gleich­gesetzt würde, sondern weil in Öster­reich die Kombination „ukrainisch“ und „Frau“ haupt­säch­lich das platte Vorurteil „Prosti­tution“ quasi als paw­low­schen Reflex auslöst.

„Und ich hab so ein komisches Gefühl, daß man ,ukrainisch‘ hierzulande bald mit einem ganz anderen Begriff assoziieren wird, nämlich mit ,Diktatur‘. Seltsamer Zusammenhang, nicht wahr?“

In zerstörter Welt die persönlichen Werte finden – „Biographie eines zufälligen Wunders“

2010 erschien im Residenz Verlag der Kurzprosaband „Neunprozentiger Haushaltsessig“ von Tanja Maljartschuk. Noch ist kein weiteres Buch von ihr bei Residenz geplant. Das Verlagsargument lautet, daß niemand gerne Kurzgeschichten lese, man würde warten, bis sie einen „großen Roman“ geschrieben hat …

Tanja Maljartschuk im Literaturhaus NÖ (ULNÖ)
Tanja Maljartschuk bei ihrer Lesung im Literaturhaus NÖ in Krems (Foto: © ULNÖ)

„Schauen wir mal. Ich schreib halt ein­fach. Es geht um die Ge­schi­chte einer ein­fachen ukra­inischen Frau, die zu Zeiten des Zusam­men­bruchs der Sow­jet­union in der West­ukraine gebo­ren wurde und ver­sucht, in einer zer­stör­ten Welt ihre persön­lichen Wer­te zu finden. Der Ar­beits­titel des Buches lautet: „Biog­raphie eines zufäl­ligen Wun­ders“.

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Tanja Maljartschuk wurde 1983 in Ivano-Frankivsk / Ukraine geboren. Sie schloss an der dortigen Stefanyk-Universität ein Philologiestudium ab, lebte danach in Kiew und arbeitete beim Fernsehen – dem 5. Kanal. Literarisch ist sie ungemein produktiv. „Neunprozentiger Haushaltsessig“ ist ihr erstes Buch im Residenz Verlag. Seit 2011 lebt sie in Wien.

Am 25. Oktober 2011 liest Tanja Maljartschuk in Wien im Rahmen der Reihe Dependance Ost im Buchkontor am Kriemhildplatz 1, 5. Bezirk. Beginn: 19 Uhr, Eintritt frei. Nähere Infos unter: www.ulnoe.at bzw. Tel. 02732 / 72884.

Fotos: © siehe Fotos
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