Mit acht Kontrabässen, einer Musik aus „archaischer Tiefe und wahrhaftiger Wucht” wird das Ensemble Ludus Gravis den Karfreitag bestreiten – den vorletzten Konzertabend des Osterfestivals „Imago Dei 2012” in Krems. Drei Tage später, am Ostermontag schließt das Festival für heuer, wie traditionell, mit Alter Musik, mit „Gesängen und Klängen zwischen Temperament und Transzendenz“. Es spielen, erstmals gemeinsam, die Ensembles „La Reverdie“ und „Accordone“.
Karfreitag, der düstere Tag – acht Kontrabässe und eine Holzkiste wie ein Sarg
„Karfreitag ist der düstere, der dunkle Tag“, sagt Jo Aichinger, der künstlerische Leiter und Begründer von Imago Dei im Gespräch mit magzin.at. „Lux ex tenebris“, das Licht aus der Dunkelheit, ist das Abendkonzert an diesem Tag betitelt. Dargeboten wird zeitgenössische Musik, darunter das legendäre Stück „Dies irae“ der russischen Komponistin Galina Ustwolskaja (1919-2006).
Gespielt von acht Kontrabässen, und mit einer Holzkiste, in die Nägel eingeschlagen werden. „Wenn man das hört“, so Aichinger, „taucht unwillkürlich die Assoziation auf, da nagelt einer einen Sarg zu. Aber das Stück hat auch eine tiefe Dramaturgie. Es ist für mich sehr spirituell.“
Jo Aichinger, künstlerischer Leiter: „Minoritenkirche ist ein wunderschöner Spielort”
Jo Aichinger hat „Imago Dei” im Jahr 2001 gegründet. Und seit den frühen 1990er Jahren hat er die Minoritenkirche als Spielort aufgebaut und dafür den Namen „Klangraum“ erfunden. „Ich habe das Glück, an einem der außergewöhnlichsten und wunderschönsten Spielorte arbeiten zu dürfen, nämlich der Minoritenkirche“, schwärmt Aichinger.
Das einstige Minoritenkloster in Krems-Stein, mit seiner gotischen Kirche, wurde vor rund 200 Jahren aufgelassen und profanisiert. Ab 1991 gab es hier die Anfänge der Kunsthalle Krems. „Diese Kirche hat mich seit jeher fasziniert. Ihre Pathetik – es ist kein Altar mehr drinnen – und ihre Atmosphäre habe ich immer mit Klang in Verbindung gebracht.“
„Musik ohne Raum gibt es nicht“
„Der Raum, der Ort ist für mich eine entscheidende Vorgabe für die Musik, die ich dort mache. Musik gibt es ohne Raum nicht“, erklärt Aichinger. „Ein Raum schafft mir bestimmte Möglichkeiten oder verweigert sie mir. Die Herausforderung besteht darin, bei der Auswahl der Musik, mit der Musik darauf einzugehen.“
Imago Dei – ein Osterfestival transzendenter Musik und weltoffener Spiritualität
„Imago Dei“ – das meint, der Mensch ist Gottes Ebenbild. Aber auch, das Bild Gottes im Menschen, mithin das „seelenfünkelin“ der christlichen, mittelalterlichen Mystiker. „Jeder darf es selbst interpretieren“, sagt Aichinger.
Beim Festival Imago Dei geht es, anders als bei den andren Festivals im Klangraum, um Spiritualität und Transzendenz. „Das Festival fragt, was Religion im weitesten Sinne heute überhaupt noch bedeutet“, erklärt Aichinger. „Ganz offen, wie auch immer man das sieht, als Gläubiger oder Atheist.“
Vom „Prinzip Hoffnung“ im Vorjahr zur „Bergpredigt“ heuer
Und diese gewollte Offenheit spiegelt auch die Musik des Festivals wider. Sie kommt aus Europa und aus fernen Ländern und Kontinenten. Klassische Musik, zeitgenössische Avantgarde, Alte Musik und ethnische Musik sind kombiniert. Heuer etwa: muslimische Sufi-Musik, christlich-koptische Kirchenlieder aus Äthiopien und ein Korea-Schwerpunkt, neben europäischer mittelalterlicher Musik, neben Schubert, Mahler und Webern, neben John Cage, Arvo Pärt und vielen andren.
Dabei steht das Festival jedes Jahr unter einem anderen Generalthema. Heuer ist es die Bergpredigt des Matthäus-Evangeliums. Im Vorjahr war es das „Prinzip Hoffnung“ des Philosophen Ernst Bloch. „Der Zugang ist jedes Jahr ein anderer.“
Die „Bergpredigt“ ist auch heute hochpolitisch
Die Bergpredigt – in einem radikaleren Verständnis. „Ich glaube, dass die Bergpredigt einst, wenn sie wirklich so stattgefunden hat, eine hochpolitische Angelegenheit war“, betont Aichinger. „Wir haben heute alle Ethik verloren. Das ist der Eindruck, den uns heute zum Beispiel die Politik vermittelt.“
Mahatma Ghandi, Martin Luther King und Dietrich Bonhoeffer sind die Vorbilder dieses radikaleren Verständnisses. „Es geht bei der Bergpredigt nicht mehr um das, was die Kirche im traditionellen Sinne uns vermittelt.“
Wo ist unsere Humanität? „Es geht uns nur noch ums Geld.“
Aichingers Frage lautet anders: „Wo wären wir heute, wenn wir die Bergpredigt umsetzten? Wie denkt man heute über echte Humanität? Über menschliche Ethik? Haben wir noch ein soziales Verständnis für die anderen? Wie gehen wir mit unseren Lebensformen um? Uns geht es nur noch um Geld, um Cash und SUVs. Wir haben das Gespür für das Essentielle verloren. Um diese Fragen geht es mir beim Festival Imago Dei.“
„Ich suche immer nach Neuem“
Seit er 14 war, beschäftigte er sich mit Musik, erzählt Jo Aichinger. Free Jazz stand am Anfang. „Mein Zugang zur Musik war ganz eigenständig. Nicht über die Schule oder Musikpädagogen und nicht in den üblichen Trends. Sondern ich habe mich ständig gefragt, warum hört sich jemand so etwas an wie Free Jazz. Ich habe das nicht verstanden. Aber ich wollte es unbedingt wissen und herausfinden.“
Diese Haltung habe er sich bis heute bewahrt. Für die Musik, aber auch überhaupt. „Ich suche ständig, ich suche immer nach Neuem“, sagt er. Auch wenn er in den Urlaub fährt, will er möglichst an ihm noch unbekannte Orte. Etwa auf seiner Reise am Amazonas, wo er entlegenste Dörfer aufsuchte. „Das ist eine Einstellung, ein Weltbild, das man hat.“
Es geht auch ums Hören – die Gratwanderung zwischen Avantgarde und vertrauter Musik
Das Osterfestival Imago Dei ist jedoch eine wohlüberlegte Synthese, eine konzeptuelle Verbindung von Klassischer Musik und Alter Musik mit zeitgenössischer Neuer und ethnischer Musik. „Es steckt sehr, sehr viel Arbeit dahinter, das Festival zu programmieren. Dabei versuche ich immer, eine halbwegs ausgewogene Dramaturgie zu schaffen, zwischen Vertrautem und Neuem.“
Und es geht nicht nur um Religion und Spiritualität, sondern ganz besonders auch ums Hören, ums Hörerlebnis. „Und deswegen versuche ich auch, Neue Musik zu machen. Und ganz bewusst Leute an sie heranzuführen. Denn es geht auch darum, wie höre ich überhaupt noch Musik? Wie höre ich zu? Was erwarte ich, wenn ich zu einem Konzert komme?“
„Mittlerweile haben wir es geschafft“ – das Konzept ist aufgegangen
Das Konzept von Imago Dei ist ganz offensichtlich aufgegangen. Gäste kommen von überall her, aus Wien, aus Deutschland, aber auch aus der Region Krems selbst. Ein Stammpublikum hat sich herausgebildet. „Das war vor zehn Jahren noch nicht denkbar. Aber mittlerweile haben wir es geschafft“, sagt Jo Aichinger.
„Das macht mir große Freude. Und das ist für mich das großartige Spannungsmoment, ein Stück über die Grenzen des Gewöhnlichen hinaus zu schreiten, mit dem, was ich höre. Für mich selber, aber genauso für unser Publikum.“
weitere Artikel zu Jo Aichinger, „Imago Dei“ und „Glatt & Verkehrt“ in magzin.at – siehe Spalte rechts oben
weitere Artikel zu „Imago Dei 2012„:
- Die Harfe Davids, der Gesang der Kopten und die Stachelgeige der Sufis
- Lux Aeterna: Vom Weltlicht und Aufstieg zum himmlischen See in Tibet
- Imago Dei 2012: Erster Konzertabend mit Werken von Schubert, Mahler und Anton Webern
- (Überblick): Das Osterfestival Imago Dei in Krems: Das Salz der Erde, das Licht der Welt
- (Überblick Termine): Imago Dei 2012: Programm-Übersicht
Foto Echo der Sufis: © Gokalp Bogazkesen
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