„Pflichtlektüre“ ist ein Unwort. Weil es den Zwang nahelegt, etwas zu lesen, das man nicht lesen möchte. Im konkreten Fall, vielleicht etwas (den Balkan) zu verstehen, das man nicht verstehen möchte.
Der Vater bleibt verschollen
Der Debütroman der 1982 in Vukovar geborenen Autorin Ivana Bodrožić spielt im Kroatien der 90er Jahre. Der Ich-Erzählerin wird mit neun Jahren die heile Familienwelt geraubt, als sie gleichsam über Nacht mit ihrer Mutter und ihrem um ein paar Jahre älteren Bruder ihre Heimatstadt Vukovar zu Beginn des Balkankrieges (1991 – 1995) verlassen muss. Der Vater bleibt in der umkämpften Stadt zurück und im Weiteren verschollen.
Zwei Sätze, die im Kopf kreisen
Der Rest der Familie kommt in Zagreb unter, zunächst bei Verwandten, dann illegal in einer aufgebrochenen, leer stehenden Wohnung und schließlich in einer ehemaligen Kaderschule, in der vertriebene Familien(-angehörige) auf engstem Raum einem Flüchtlingslager gleich untergebracht werden.
Zwei Sätze, zwei Wünsche kreisen im Kopf der Ich-Erzählerin – „Papa ist am Leben“ und „Wir haben eine Wohnung bekommen“.
Ein starkes Buch, einer starken neuen Stimme
„Hotel Nirgendwo“ ist ein starkes Buch, einer starken neuen Stimme aus Kroatien, das auf berührende Art und Weise in Erinnerung ruft, dass für viele Europäer und Europäerinnen der „letzte“ Krieg nicht „schon“ vor 67 Jahren zu Ende gegangen ist.
magzin-literaturtipp:
Ivana Bodrožić. Hotel Nirgendwo. Paul Zsolnay Verlag. Wien 2011.
Buchcover: © Zsolnay Verlag