„Die Mehrheit kämpft ums nackte Überleben“ – die slowenische Autorin Suzana Tratnik als Gast im Literaturhaus NÖ (ULNÖ) in Krems

Die Mehrheit der Weltbevölkerung kämpft ums nackte Überleben, meint die slowenische Autorin Suzana Tratnik. Im Juli war sie Ateliergast des Literaturhaus NÖ in Krems, wo sie ihre neueste Sammlung Kurzgeschichten („Das Reservat“) abschloss. Wolfgang Kühn sprach mit ihr über Slowenien und ihre Bücher.
Suzana Tratnik, slowenische Autorin
Suzana Tratnik
von Wolfgang Kühn |

In ihren Büchern geht es oft um Außenseiter, um Figuren am Abgrund der Gesellschaft. Suzana Tratnik – die slowenische Autorin war letz­ten Juli Gast des Liter­a­tur­haus NÖ in Krems  – hält deren Geschichten für die inter­essan­tes­ten. Warum kriegen es manche Leute nicht auf die Reihe und warum bleiben sie am Rande der Gesell­schaft?

Die Mehrheit kämpft ums nackte Überleben

Tratnik ist der Ansicht, dass die Mehrheit der Weltbevölkerung ums nackte Überleben kämpft. So gesehen sind diese Menschen eigentlich die Hauptfiguren, jedenfalls für Suzana Tratnik. Sie selbst fühlt sich auch keiner Mitte zugehörig. Sie kommt aus einer Arbeiterfamilie, da war von Studieren oder Schriftstellerin werden überhaupt keine Rede.

„Farbfernsehen und Sterben“

Suzana Tratnik - Erzählband "Farbfernsehen und Sterben"In ihrer Kindheit war für Tratnik Öster­reich eines der fremden Länder, das sie oft be­sucht hat. Fast jede Woche wurde nach Graz oder Bad Rad­kers­burg gefahren, um ein­zu­kaufen. „Es gab da drüben viele Dinge, die wir haben woll­ten und in Jugo­slawien nicht hat­ten. Wir kauf­ten unter anderem Plat­ten und Jeans!“

Ein einschnei­den­des Er­lebnis ihrer Kind­heit war auch der erste Farb­fern­seher. Da gibt es die Er­zäh­lung „Der Color-Fern­seher“ im Band „Farb­fern­sehen und Sterben“, in der dieses Er­eignis literarisch fest­ge­hal­ten wird. Da ihre Familie außer zum Ein­kaufen nach Öster­reich nirgend­wohin fuhr, geschweige denn Urlaube am Meer ver­brachte, wurde der Fern­seher für sie zum „Fenster zur Welt“.

Fernsehen hält sie immer noch für sehr wichtig, als Basis neuer Medien. „Auch wenn sich diese verändert haben, sind wir immer noch die Zuseher, wir schauen Internetfernsehen, rufen Nachrichten über Mobiltelephone ab und so weiter.“

„Damian“ – Einblicke ins Lesben-Schwulen-Milieu

Suzana Tratnik - Roman: Mein Name ist DamianDer 2005 erschienene großartige Roman „Mein Name ist Damian“ spielt pha­sen­weise im Lesben-Schwulen-Milieu und ist laut Autorin „hart an der Realität“. Die Situ­ation der Lesben und Schwulen in Slo­we­nien hat sich Mitte der Acht­ziger Jahre zu verbes­sern be­gon­nen, also in der Blüte­zeit der neuen sozialen Be­we­gungen, in der auch die Femi­nisten­bewe­gung, die Frie­dens­bewegung und die Alter­nativ- und Punk­kultur stark und lebendig waren. Seit der slowe­nischen Un­ab­hängig­keit hat sich da, wie die Autorin meint, nicht mehr viel geändert.

Freiheit ist die Freiheit der Reichen

Bezüglich der nach der Unabhängigkeit Sloweniens im Jahre 1991 oft propagierten Freiheit fragt sich Suzana Tratnik, was denn diese Freiheit genau ist, für wen sie gedacht ist und wem sie zusteht? Vielleicht einer kleinen Gruppe reicher Leute und mächtiger Politiker? Der Großteil der Bevölkerung muß aufgrund der Wirtschaftskrise enorm sparen. Und wie in den meisten postkommunistischen Ländern ist auch in Slowenien Redefreiheit gleichbedeutend mit weitverbreiteten Hasstiraden, die kaum in den Griff zu bekommen sind.

„Vielleicht ist Freiheit Teil meiner Arbeit, in einem sehr symbolischen Sinn gesehen. Vielleicht geht es mehr um das Fühlen einer inneren Freiheit, ein Gefühl, das sein zu können, was man ist, ohne die Lebensqualität oder das Leben selbst zu gefährden.“

„Das Reservat“ – die Ghettos durch Kultur, Gewalt und Armut

Suzana Tratnik, slowenische Autorin
Suzana Tratnik

In Krems hat sie ihre jüng­ste Kurz­ge­schichten­samm­lung ab­geschlossen, die „Rezervat“ („Das Reservat“) heißen wird. In diesem Buch versucht die Autorin Ähn­lich­keiten und Unter­schiede zwischen den ver­schie­denen Formen von „Reser­vaten“ zu finden. Ein Reservat kann physisch er­zwun­gen werden, so wie die Indi­aner­reservate in den USA, aber auch kul­turell oder geistig sein oder einfach aufgrund der Tat­sache entstehen, dass jemand in ärm­lichen Ver­hält­nissen lebt. Die geistige Welt eines Kindes wird so sehr von anderen kon­trol­liert, dass sie in logischer Folge auch zu einer Art Reser­vat wird.

„In manchen Geschichten beschreibe ich auch eine Form sozialer Isolation bzw. Ghetto, wo Menschen hinein geraten können, die Opfer von Gewalt geworden sind – dazu gehören auch Kriegsopfer und Flüchtlinge – oder Menschen, die einen anderen Lebensstil gewählt haben, wie Schwule oder Lesben. Aber ich sehe ‘Reservat’ durchaus auch als positiven Begriff, als Ort, an dem jemand authentisch und in Sicherheit leben kann.“

Arbeit am Drehbuch zu Damian in Krems

Suzana Tratnik hat in Krems auch das Dreh­buch für den Film über Damian über­arbei­tet, der – wie die Autorin hofft – bald ge­dreht wer­den wird. Da­neben hat sie ver­sucht, Ideen für ihren neu­en Roman zu sam­meln. Sie hat zwar schon vor läng­erer Zeit ein paar Kapi­tel geschrieben, aber die richtige Ar­beit fängt erst an.

Zurück im Alltags­leben wird es nicht so ein­fach sein zu schreiben und in Ruhe zu den­ken, so gesehen war Krems für sie ein ide­ales „Kunst­reser­vat“, wo sie ohne Ab­len­kungen arbei­ten konnte.

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Foto: © Foto Tratnik Artikelanfang: © Nada Zgank
Buchcover Tratnik Farbfernsehen und Sterben: © Verlag Zaglossus
Buchcover Tratnik Damian: © Milena Verlag, Wien
Foto Tratnik Artikelende: zVg Wolfgang Kühn
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