Seit 2011 gibt es die EU-Donauraumstrategie (EUSDR). Ein erstes Resümee zog vor einer Woche eine Konferenz an der Donau-Universität Krems unter dem Titel „Die EU-Donauraumstrategie. Der Mensch im Mittelpunkt“. Politiker, Wissenschafter und Behördenvertreter aus Ungarn, Serbien, Deutschland, Niederösterreich und Wien diskutierten. Die Frage war: Wie können die 14 Staaten entlang des Donauraums ihre Kooperation verstärken? Welche großen Chancen bietet die Entwicklung des Donauraums für Menschen, Wirtschaft und Wissenschaft, die mit der „EU-Donauraumstrategie“ verwirklicht werden soll?
LH Erwin Pröll: Donauraum wesentlich für Europa und soziale Stabilität
In der Eröffnungsrunde der Konferenz hob Landeshauptmann Erwin Pröll seine Vision und die Bedeutung der EU-Donauraumstrategie hervor. „Ich bin überzeugt, dass der Donauraum wesentlich zur Gesamtentwicklung Europas beitragen kann.“ Gelinge es, die großen Potentiale zu heben, die der Donauraum wirtschaftlich und touristisch bietet, dann trage dies wesentlich zur Stabilität Südosteuropas und Europas bei.
Zur politischen und sozialen Stabilität, denn: „Möglichst gleichwertige Lebensbedingungen für die Menschen entlang der Donau zu schaffen, ist meines Erachtens ganz wichtig, um soziale Spannungen auf unserem Weg in die Zukunft abzubauen“, erläuterte Pröll.
Serbiens Ex-Vizepremier Delic: Das reiche Mitteleuropa braucht die Peripherie
Ähnlich argumentierte auch Serbiens Ex-Vizepremier Bozidar Delic in seiner Impulsrede (keynote) bei der Konferenz in Krems: „Die reichen Länder Mitteleuropas – Deutschland, Österreich – können auf Dauer nicht als Insel bestehen. Sie brauchen eine gute Peripherie, um selbst gut wirtschaften und leben zu können.“ Das sei, so Delic, auf längere Sicht der einzige Weg zu Frieden und Prosperität für Gesamteuropa.
Im Kampf gegen die Rezession – viele Länder Südosteuropas von Krise betroffen
In Zahlen veranschaulichte dies Peter Havlik vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Das BIP pro Kopf, erklärte Havlik, sei in Österreich und Deutschland rund vier Mal höher als in den ärmsten Ländern im Osten des Donauraums, als in Serbien, Rumänien, Bulgarien, Moldawien und der Ukraine.
Die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 habe viele Länder Ost- und Südosteuropas viel stärker und anhaltender getroffen als Österreich und Deutschland. „Die Kluft zwischen reichen und armen Länder habe sich in den letzten Jahren sogar noch vertieft“, sagte er.
Auch mit prekären Folgen für die Arbeitsmärkte. In Serbien etwa liege die Arbeitslosenquote bei rund 30 Prozent, so Havlik – höher als derzeit in Griechenland und Spanien. Mehrere Länder kämpften zur Zeit mit einer Rezession, u.a. Tschechien, Ungarn, Kroatien, Slowenien, Serbien.
Ex-Vizekanzler Molterer: Donauraum bedeutet Verbindung zum Schwarzen Meer
Die Wachstumschancen betonte Ex-Vizekanzler Wilhelm Molterer, der als Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank (EIB), Luxemburg, bei der Konferenz in Krems sprach. Die EU-Donauraum-Strategie bedeute nicht nur die Einbindung Südosteuropas, betonte er. Sie bedeute auch die Öffnung zur gesamten Schwarzmeer-Region und zu Ländern des Südkaukasus wie Georgien. Dort sei, wie in Osteuropa, die Wirtschaft in starkem Aufschwung mit Wachstumsraten von 5 bis 6 Prozent.
Molterer bekräftigte, dass sich die EIB „massiv an der EU-Donauraum-Strategie beteiligen“ wolle. „Wir haben viele Möglichkeiten als EIB“, sagte er. Entscheidend sei, dass viele Projekte von Unternehmen und Institutionen für den Donauraum entwickelt und zur Finanzierung eingereicht würden.
Kurt Puchinger, Stadt Wien: „Donauraum hat unvergleichbar hohes Potential“
„Der Donauraum hat eine europäische, sogar globale Standortqualität“, machte Kurt Puchinger, Planungsdirektor der Stadt Wien, deutlich. „Das Potential der Region ist erst zu heben, aber unvergleichbar hoch.“ Bereits die Bevölkerungszahlen machten dies deutlich: rund 120 Mio. Menschen lebten in der Schwarzmeer-Region, rund 150 Mio. Menschen im Donauraum.
Öffnung der Donauraumstrategie für Zivilgesellschaft und Wirtschaft
Puchinger plädierte, wie andere Redner auch, dass die EU-Donauraumstrategie noch stark geöffnet werden müsse: in Richtung Zivilgesellschaft und privater Wirtschaft.
Vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) seien, so Puchinger, geeignete Finanzierungsinstrumente erforderlich. Heute, nach freilich erst einem Jahr, sei „die EU-Donauraumstrategie eher noch eine Art Minderheitenprogramm innerhalb von öffentlichen Verwaltungen“.
Die Donauraumstrategie muss zu den Menschen kommen
Das Erfordernis, die Donauraum-Strategie zu den Menschen zu bringen, betonten besonders auch Peter de Martin (Generalsekretär der ARGE Donauländer, Land NÖ) und Andreas Breinbauer (Generalsekretär des IDM, Instituts für den Donauraum und Mitteleuropa, Wien). Gemeinden, die Wirtschaft und die Bevölkerung seien einzubeziehen in vielen konkreten, erlebbaren grenzübergreifenden Projekten. Auch in Kleinstprojekten auf kultureller Ebene, betonte de Martin.
Die Häfen an Schwarzmeer und Donau – Pröll kündigt Hafen-Konferenz für 2013 an
Vier Makroregionen Europas beschrieb Otto Schwetz, Vorsitzender für den europ. Verkehrskorridor VII und Vorstandsmitglied des IDM in Wien. Vier Makroregionen, die Europa stabilisieren, aber auch zueinander in Konkurrenz treten: der Donauraum, der Ostseeraum, der „atlantische Bogen“ (Nordwesteuropa) und der Mittelmeerraum („Barcelona-Prozess“).
Als wichtiges Ziel nannte Schwetz die Kooperation der Schwarzmeer-Westhäfen (Konstanza, Galatz, Varna, Burgos, Odessa), nach dem Vorbild der bereits angelaufenen Kooperation der großen Adria-Häfen. LH Erwin Pröll kündigte seinerseits an, kommendes Jahr über die ARGE Donauländer eine Hafenkonferenz einberufen zu wollen, um die Zusammenarbeit zwischen Donau-Häfen (in Österreich: Krems, Ennshafen, Wien, Linz) und Schwarzmeer-Westhäfen weiter voranzubringen.
Wissenschaft ist Chance für Zusammenarbeit im Donauraum
Einer der Schwerpunkte der Konferenz in Krems war Wissenschaft und Bildung in der EU-Donauraumstrategie. LH Erwin Pröll betonte die außerordentlich wichtige Rolle wissenschaftlicher Kooperationen, gerade auch für die Entwicklung des Donauraums.
Die Donau-Universität Krems führe dies seit ihrer Gründung deutlich vor Augen, so Pröll. Denn sie stelle eine „unglaubliche Chance für Austausch und Zusammenarbeit“ im Donauraum dar, aus der viele tragfähige Partnerschaften im Donauraum durch Wissenschaftskooperation entstehen.
Das gelte ebenso für die gesamte „Wissenschaftsachse“ (von Krems über Tulln bis Wr. Neustadt), die NÖ inzwischen aufgebaut habe – durch bisher Investitionen von 600 Mio. Euro und künftig weiteren 600 Mio. Euro.
„Eine Region, die im internationalen Kontext mitreden und mitentscheiden will, hat es unbedingt notwendig, in Wissenschaft und Forschung zu investieren und einen Schwerpunkt zu setzen“, erklärte Pröll dazu außerdem in Hinsicht auf Niederösterreich und die Wissenschaftspolitik der NÖ-Landesregierung.
Bereits viele Kooperationen mit dem Donauraum – die Donau-Universität Krems
Die Donau-Universität habe bereits zahlreiche Kooperationen mit Hochschulen in Ländern des Donauraums, berichtete Univ.-Prof. Viktoria Weber, die Vizerektorin der Donau-Universität Krems (DUK). Ein großer Teil der jetzt schon über 6.400 Studierenden der DUK komme aus dem Donauraum. Relevante Themen würden vielfältig in Lehre und Forschung angeboten.
„Wir wollen diese Kooperationen im Donauraum ausbauen, sowohl in Forschung als auch in der Lehre“, sagte Weber weiters. Bereits der gesetzliche Auftrag der DUK sehe vor, Schwerpunkte der postgradualen Weiterbildung für Zentral- und Osteuropa zu setzen.
Auch der neue Entwicklungsplan der DUK markiere Kooperation und Internationalisierung als wichtige Ziele. Darüberhinaus wolle die DUK im Donauraum auch im Bereich Kunst und Kultur aktiver werden. „Wir wollen als Institution zum Wissenstransfer beitragen und den Donauraum als Wissensregion mitgestalten“, fasste sie zusammen.
BOKU-Rektor Gerzabek: Donauraum hat großes Potential für Wissenschaft und Wirtschaft
Es gebe 3 Millionen Studierende im Donauraum, hob Univ.-Prof. Martin Gerzabek hervor, der Rektor der Universität für Bodenkultur, Wien. Rund 115 Mio. Menschen lebten im Donauraum, dessen Größe bei rund 20 Prozent der Fläche der EU liege. „Wir haben im Donauraum ein großes Potential für die ökonomische Entwicklung“, betonte Gerzabek.
Rund 300 Hochschulen würden derzeit im Donauraum aktiv Forschung betreiben, so Gerzabek weiter. „Ich glaube, dass die Universitäten und akademischen Institutionen sehr viel einbringen könnten, um eine Entwicklung des Donauraums voranzutreiben “ – durch Fachwissen, weitere Vernetzung, gemeinsame Forschung und Austausch von Studierenden und Wissenschaftern.
Aufgrund der historischen und kulturellen Vielfalt (Diversität) des Donauraums sei es wichtig, so Gerzabek außerdem, neben Technik und Naturwissenschaften die Kultur- und Geisteswissenschaften in die Donauraum-Strategie einzubinden.
Beispiel Biomasse: Im Donauraum noch erheblich ausbaufähig
Gerzabek sprach auch über erhebliche Unterschiede und strukturelle Defizite bei Umweltsituation und Landwirtschaft in den Ländern des Donauraums. Aber auch über große Chancen: Etwa, dass keine andere europäische Region derart große, noch auszuschöpfende Potentiale für die Biomasse habe: Rund 30 Prozent Steigerung der Biomasse bei nachhaltiger Bewirtschaftung seien dort möglich.
Peter Filzmaier: Wissenschaftskommunikation ist auch Bringschuld
Univ.-Prof. Peter Filzmaier beleuchtete, als einer der Redner des 3. Panels der Konferenz in Krems, schließlich auch das allgemeine Interesse der Bevölkerung am Thema Wissenschaften. Laut Umfragen hätten, so Filzmaier, im Durchschnitt rund 30 Prozent der Bürger in der EU und im Donauraum „ein sehr hohes Interesse“ an Wissenschaften. Mit allerdings erheblichen Länderunterschieden: Von 11 Prozent in Bulgarien, die dies sagten, bis 41 Prozent in Ungarn.
Filzmaier warf auch das Problem der Wissenschaftskommunikation auf, das heißt, wie Wissenschaften und wissenschaftliche Erkenntnisse in Medien transportiert und dargestellt werden. „Natürlich gibt es auch eine Holschuld der Bürger, aber vielleicht diskutieren wir heute auch über die Bringschuld auf seiten der Wissenschaften“, sagte er. „Wie gut leisten wir diese Arbeit als Kommunikatoren?“
Denn eine Mehrheit der Bevölkerung, so Filzmaier, betrachte Wissenschaftsinformation in Medien zwar als objektiv, zuverlässig und nützlich. Aber ein anderer, durchaus großer Anteil der Bevölkerung sehe dies eben nicht so.
Internet als Medienträger
Ein Problem bestehe auch bei den Medienträgern. Nur das Internet biete derzeit die Möglichkeit, flächendeckend im Donauraum als Medienträger zu fungieren, da im Donauraum bisher nur länderbezogene Medienangebote im Bereich Fernsehen, Radio und Print existieren. Andererseits werde speziell für Wissenschaftsinformation das Internet derzeit noch eher weniger genutzt.
Konferenz mit über 20 Vorträgen – unter Patronanz der ARGE Donauländer
Organisatoren der Konferenz „Die EU-Donauraumstragie. Der Mensch im Mittelpunkt“ waren die Donau-Universität Krems und das Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) unter Patronanz der ARGE Donauländer. Über 20 Vorträge in drei Panels, drei keynotes und Eröffnungsrunde gaben ein vielfältiges Bild der bisherigen Aktivitäten zur EU-Donauraumstrategie. Vortragende waren weiters u.a. Univ.-Prof. Heinz Fassmann, Vizerektor der Universität Wien, Matthias Holzner vom Staatsministerium Baden-Württemberg und Univ.-Prof. Miroslav Veskovic, Rektor der Universität Novi Sad in Serbien.
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