Univ.-Prof. Bernhard Felderer sprach vor zwei Wochen in Krems über die EU und die Staatsschuldenkrise. Zu seinem Vortrag „Baustelle Europa – Sanierung oder Umbau?“ hatte die Kremser Bank eingeladen in den Ferdinand Dinstl-Saal. Welthandel und US-Konjunktur kommen bereits wieder in Schwung, sagte Felderer, der Präsident des österr. Staatsschuldenausschusses und langjährige Direktor des IHS, zum Abschluss seines Vortrags.
Keine EU-Skepsis, keine Euro-Ängste
Wohltuend sachlich, informativ und fundiert gab Bernhard Felderer bei seinem Vortrag für die Kremser Bank Einblick in die Staatsschuldenkrise in Europa, in die Entstehung der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009, in die Euro-Stabilisierungmechanismen und seine Einschätzung der Konjunkturaussichten. Wer anderes erhofft hatte, wurde enttäuscht: EU-Skepsis und Euro-Ängste wurden von Felderer nicht vorgebracht. Im Gegenteil.
Lob für Italiens Sparbemühungen
Felderer lobte ausdrücklich Italien – „Italien entwickelt sich gut“ – für seine Fortschritte bei der Sanierung des Staatshaushaltes. Und die weiteren Krisenstaaten Südeuropas. „Die Sanierungsbemühungen sind teilweise sehr weit fortgeschritten. Man kann nicht sagen, dass dort nichts passiert“, so Felderer.
Felderer machte klar, dass die betroffenen Volkswirtschaften für Europa zu groß und zu wichtig wären, um sie mit ihren Problemen alleine zu lassen. „Wir können so große Länder wie Italien und Spanien nicht einfach im Stich lassen. Alleine in Österreich werden zwei Mrd. Euro an italienischen Staatsanleihen gehalten.“
Viel zu viel Fremdkapital-Finanzierung: Ursache der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009
Nicht als Auslöser, aber als Ursache der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 nannte Bernhard Felderer die hohe Verschuldung der Volkswirtschaften, das heißt eine viel zu stark ausgeweitete Fremdkapital-Finanzierung. Felderer zeigte dies am Beispiel der USA: Bereits im Jahr 2003 überstieg die Gesamtschuldenquote in den USA 300 Prozent des BIP (Bruttoinlandsprodukt) der USA und lag damit bereits höher als die Schuldenquote während der Weltwirtschaftskrise 1928-1930.
Bis 2009 stieg die US-Gesamtschuldquote, so Felderer, aber dennoch dramatisch weiter, bis auf 383 Prozent des BIP. „Das Problem der letzten 20 Jahre, vor allem aber der letzten zehn Jahr vor der Krise war, dass die Fremdkapital-Finanzierung enorm hinaufgegangen ist“, so Felderer.
Krise: Ein Übermaß der Schulden von Unternehmen und Investoren, nicht so sehr der Staatsschulden
Aber weniger die Staatsschulden, sondern vor allem die „Privatschulden“ von Unternehmen, Investoren und Konsumenten erreichten ein Übermaß (2009: 330 % des US-BIP). „Vor allem die Privatverschuldung – es war weniger die Staatsverschuldung – ist immer höher geworden“, erklärte Felderer dem Publikum.
„Eine Ökonomie, die so stark fremdfinanziert ist, ist sehr anfällig.“ Anfällig für Krisen, Störungen und den dann erfolgten Kollaps. Folgerichtig gäbe es jetzt, so Felderer, überall einen „Umbau zu einer eigenkapitalstärkeren Wirtschaft, was natürlich nicht unbedingt dem Wachstum nützt“.
Nach der Krise: Explosion der Staatsschulden in der EU
Als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise stieg dann drastisch die Staatsverschuldung auch in den europäischen Ländern. „Manche Länder – z.B. auch Großbritannien – haben ungeheuerlich zugelegt von 40 Prozent auf über 80 Prozent“, so Felderer. Gemeint ist damit die Staatsschuldenquote: Staatsschulden in Prozent des BIP.
Im Durchschnitt ist die Staatsschuldenquote infolge der Krise in den Ländern der Eurozone um 27 Prozent in die Höhe geschnellt – während der letzten vier Jahre, so Bernhard Felderer. In Österreich wuchs die Verschuldungsquote in dieser Zeit von rund 60 auf 74,6 Prozent des BIP, d.h. um rund 14 Prozent.
Kritik am Fiskalpakt und Stabilitätspakt der EU – 40 Prozent statt 60 Prozent Staatsverschuldung
Aufgrund dieser Erfahrungen, so Felderer, sei der Schluss zu ziehen: 60 Prozent des BIP als zulässiger Staatsverschuldung, wie es der Euro-Stabilitätspakt und der neue Fiskalpakt vorsehen, sind zu hoch.
„Mit 60 Prozent plus 27 Prozent, dem plötzlichen Anstieg in der Eurozone aufgrund der Krise, sind wir bei 87 Prozent. Und da wird es gefährlich.“ Denn, so Felderer, bei 90 bis 100 Prozent Staatsschuldenquote ist wegen der Zinslast ein Abbau der Staatsschulden nur noch schwer zu bewältigen. „60 Prozent ist zuviel. Sinnvoll wäre es, die Staatsschuldenquote auf maximal 30 bis 40 Prozent zu begrenzen.“
EU-Rettungsschirme und Fiskalpakt richtig und positiv
Die Euro-Rettungsschirme (EFSF, ESM) und den neuen Fiskalpakt wertete Felderer dennoch grundsätzlich positiv: „Man hat ein neues juristisches Meisterwerk geschaffen, das dasselbe will wie schon der Stabilitätspakt“ – nämlich die Begrenzung der Jahresneuverschuldung auf maximal 3 Prozent des BIP und der Staatschuldenquote auf maximal 60 Prozent. „Es ist alles sehr ausgeklügelt“, so Felderer. Und speziell zum Fiskalpakt und der vereinbarten Schuldenbremse: „Die Frage ist aber auch diesmal, werden sich die Länder daran halten?“
Weltwirtschaft springt wieder an – Felderer sieht Trendwende
Seinen Vortrag in Krems schloss Bernhard Felderer mit einer positiven Einschätzung der Konjunkturaussichten. „Der Welthandel ist in den letzten Monaten wieder angestiegen. Wir glauben, dass das eine Trendwende ist“, sagte Felderer mit Nachdruck. Dies lasse sich an mehreren volkswirtschaftlichen Indikatoren ablesen.
Die US-Wirtschaft wächst inzwischen stärker als erwartet, so Felderer. „Die Wachstumsprognosen für die US-Wirtschaft werden jetzt wahrscheinlich hinaufrevidiert auf 2,3 bis 2,5 Prozent.“ Zweitens: Der „Supply Manager Index“ (ISM), der wichtigste amerikanische Geschäftsklimaindex, ist in den letzten Monaten deutlich gestiegen. Auch das spricht für eine Wiederbelebung der US-amerikanischen Konjunktur, so Felderer, genauso wie die bereits wieder anziehenden Konsumentenpreise in den USA.
„Das ist wichtig für uns, denn die US-Wirtschaft ist eng verkoppelt mit der deutschen Wirtschaft und der chinesischen Wirtschaft“, so Felderer. Das heißt: Erholt sich die US-Wirtschaft, dann wird auch Deutschland „keine Rezession haben“ und China wieder stärker wachsen.
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