Die Schöpfungsmythen der Weltreligionen sind Thema des Osterfestivals „Imago Dei 2013“ im Klangraum der Minoritenkirche Krems, das noch bis Ostermontag läuft. magzin.at sprach mit Jo Aichinger, dem künstlerischen Leiter, über den Sinn der Schöpfungsmythen, über die Faszination des Klangraums, die Eskalation des Materialismus und Konsums in unserer Gesellschaft, die Notwendigkeit, dass sich die Gesellschaft neu besinnt, und über Kunst und Musik als Refugium des Metaphysischen. Das Interview führte Andreas Wagner, Chefredakteur magzin.at.
Die Schöpfungsmythen gaben dem Menschen eine Sicherheit, die heute vollends verloren ist
magzin.at: Thema des Osterfestivals „Imago Dei“ 2013 sind die Schöpfungsmythen der Weltreligionen. Das heißt, die religiösen und mythischen Erzählungen vom Anbeginn der Welt, vom Ursprung des Seins. Viele außergewöhnliche Konzerte zeitgenössischer, klassischer und ethnischer Musik mit hervorragenden Künstlern und Ensembles finden statt.
Jo Aichinger: „Imago Dei“ thematisiert in diesem Jahr, wie Religionen und Glaubensrichtungen mit der Schöpfung umgehen. Das geht vom Christentum über den Islam bis zu Hinduismus und Buddhismus, wobei der Buddhismus selbst keinen eigentlichen Schöpfungsmythos hat.
In früherer Zeit gab der Mythos den Menschen Sicherheit – die Sicherheit einer bestehenden Ordnung der Welt. Das hat sich grundlegend verändert. In ihnen die Wahrheit zu sehen, ist heute nicht mehr möglich. Insbesondere seit den 1960er Jahren, ja, im Grunde schon seit der Aufklärung.
Weltknödel, Ursuppe und Oswald Wiener – Asymmetrien am Karfreitag
magzin.at: Beim Konzert am Karfreitag wird es eine kulinarische Intervention von Paul Renner geben mit „Ursuppe“ und „Weltknödel“. Und Oswald Wiener wird in einer Lesung seine Sicht des Logos-Mythos des „Johannes-Evangeliums“ zum Besten geben: „Am Anfang war das Wort …“.
Jo Aichinger: Oswald Wiener wird das sicher wieder ganz anders interpretieren. Das ist eine Art asymmetrisches Element. Es heißt ja nicht, dass er recht haben soll, sondern jeder kann das für sich selbst finden.
Beim Zusammenstellen des diesjährigen Programms für „Imago Dei“ habe ich mir oft gedacht, hoffentlich wird es nicht zu lehrmeisterlich oder für einige zu „esoterisch“. Das Ganze mit Ironie zu hinterfragen, wie Oswald Wiener das macht, ist für mich auch legitim.
„Die Religion liegt heute im Konsum und Kapitalismus“ – das Schöpfungsthema als Frage nach der Ethik
magzin.at: Wenn die Schöpfungsmythen durch die Säkularisierung ihre Verbindlichkeit verloren haben, was soll die musikalisch-künstlerische Beschäftigung mit ihnen dann bewirken? Suchen Sie eine Auseinandersetzung mit dem Wesen des Menschen? Sie haben ja, wie die vergangenen Jahre schon zeigten, keine Angst davor, solche sensiblen Denkanstöße zu geben.
Jo Aichinger: Sooft ich mich mit dem Thema beschäftige, komme ich zu dem Schluss, dass der Zauber der Mythen verloren gegangen ist. Aber das Thema Schöpfung – das hat für mich mit Ethik zu tun, mit der Frage also, wie ich mein Leben ausrichte? Wenn ich sehe, wie heute mit dem Thema Ethik umgegangen wird, dann frage ich mich schon, warum ist das so – warum läuft alles so schief?
Mir kommt vor, dass heutzutage die Religion im Kapitalismus liegt, im Konsum. Wenn ich mir anschaue, wie junge Leute sich verhalten, deren Freizeit sich in den Einkaufszentren abspielt, dann ist das für mich die neue Religion vieler Menschen. Statt in die Kirche zu gehen, wie vor 100 Jahren, gehen sie heute in diese Tempel und kaufen ein. Die Frage ist, wohin das letzten Endes führt?
Ich kann mit dem Festival die Dinge nicht verändern. Aber was ich erreichen möchte, ist, dass man darüber etwas nachdenkt. Es geht mir darum, in Frage zu stellen, wo wir heute sind? Wir leben in einer sehr pragmatischen, „immanenten“ Welt. In unserer völlig materialistisch orientieren Gesellschaft geht uns der Bezug zum Wesentlichen verloren.
Schon in den letzten Jahren haben wir bei „Imago Dei“ das Thema Ethik unserer Lebensform aufgegriffen. Ich erwarte freilich nicht, dass die Besucher, die zu uns kommen, das alles so interpretieren, wie ich das tue. Ich möchte aber anregen, darüber etwas nachzudenken.
„Der Raum eröffnet mir die Chance“ – die Faszination des Klangraums Minoritenkirche
magzin.at: Imago Dei ist ein Osterfestival. Eine besondere Rolle spielt auch die Qualität des Klangraums Minoritenkirche, wo fast alle Konzerte stattfinden. Optisch und akustisch ist dieser säkularisierte Kirchenraum in Krems-Stein unglaublich faszinierend.
Jo Aichinger: Ich habe da ein unglaubliches Privileg. Ich kann in einer ehemaligen Kirche Kulturarbeit machen. Das ist auch der Grund, warum ich diese Themen hier aufgreife und warum ich mich dabei auf Ostern konzentriert habe. Erstens ist Ostern eine der wichtigsten Zeiten des christlichen Kirchenjahres. Und zweitens findet das Festival in einer gotischen Kirche statt, deren Ausstrahlung einfach immens ist.
Es ist dieser besondere Raum der Minoritenkirche, der mir die Chance gibt, solche Themen zu bringen. In einem klassischen Konzertsaal könnte man diese musikalischen Aufführungen wohl auch machen. Aber es hätte niemals diese Wirkung.
Kunst und Musik als Refugium des Metaphysischen
magzin.at: Sie äußerten die Ansicht, dass Kunst und Musik in der heutigen Zeit zum Refugium von Spiritualität und Transzendenz geworden sind? Zum Ort und Medium, worin sie erfahrbar werden?
Jo Aichinger: Wenn ich ein Kunstwerk sehe, dann kann ich oftmals nicht sagen, warum es diese Ausstrahlung auf mich hat. Es ist etwas völlig Unerklärliches dabei, eine Art „Götterfunke“. Und genauso ergeht es mir bei der Musik. Ich kann nicht erklären, warum sie auf mich wirkt, warum sie mich berührt. Und vielen Menschen ergeht es so. Auch bei unseren Konzerten wünsche ich mir, dass das Publikum das spüren kann. Und sehr oft geht das auch auf.
Und das ist es auch, was ich beim Thema Schöpfung sehe. Es ist das, was unerklärbar ist, was der Geist in uns selbst bewirkt, das Metaphysische in uns selber. Das, glaube ich, finde ich noch in der Kunst und der Musik.
Wie der Mensch versucht, Gott zu spielen – die Fehlinterpretation der Genesis
magzin.at: Imago Dei soll zur Reflexion anstoßen. Woraufhin genau? Dass wir uns besinnen? auf unser Eigenes? auf eine gewisse Mäßigung? auf Entschleunigung? auf die Frage nach einem glücklichen Leben?
Jo Aichinger: Genau. Das ist es. Die Mäßigung und eine Beschränkung auf uns selbst. Auf das, was wir sind. Das wäre es. Mein Wunsch für „Imago Dei“ ist, einmal stehen zu bleiben und zu schauen, wo wir sind.
Nehmen wir die Genforschung. Eigentlich versuchen wir da, Gott zu spielen. Es gab soviele wissenschaftliche Erfindungen, bei denen sich nach 10, 20 oder 30 Jahren herausgestellt hat, dass sie ein Wahnsinn sind. Ich will nicht Forschung und Wissenschaft überhaupt in Frage stellen. Aber wir sollten uns beschränken, auf das, was wir sind und wie wir sind, und dass wir Teil der Natur sind und nicht über ihr stehen.
Wir leben auf einem Erdball mit sehr begrenzten Ressourcen. Ich glaube, dass der biblische Satz der Genesis, macht euch die Erde untertan, falsch interpretiert wurde – nämlich immanent statt transzendent. Überhaupt meine ich, dass wir größtenteils das transzendente Denken verloren haben. Außer in der Kunst, dort redet man noch davon.
Die Eskalation der Kapitalmärkte – Ein Paradigmenwechsel steht bevor
magzin.at: Sie sind viel gereist. Sie waren am Amazonas in ganz abgelegenen Dörfern der Indios? Wie haben sie dort Glück erlebt?
Jo Aichinger: Ich war in der Mongolei bei den Nomaden. Und am Amazonas in einem ganz abgelegenen Dorf. Die Menschen dort leben ganz einfach. Ihr Leben ist reduziert auf das Wesentliche. Ihre Kinder sind unerhört lustig und gut drauf. Ich denke, man sieht an den Kindern am besten, wie es den Menschen in einer Gesellschaft geht.
magzin.at: Sie sagten, Konsum und Kapitalismus sind in unserer westlichen Welt zur Ersatzreligion geworden. Da ist keine Reflexion mehr, wie das Leben anders sein könnte oder sollte?
Jo Aichinger: Da ist nichts mehr dergleichen. Aber ich glaube, dass wir zur Zeit einen extremen Paradigmenwechsel vollziehen. Wo keiner weiß, wo das hingehen wird. Aber diese kapitalistisch orientierte, diese völlig materialistisch orientierte Gesellschaftsform heute wird so nicht mehr weitergehen. Ich hoffe nur, dass das nicht in einem totalen Chaos endet.
Am Amazonas werden weiterhin riesige Waldflächen abgerodet und ganze Dörfer vernichtet. In Afrika kaufen Großkonzerne und Staaten riesige Acker- und Bodenflächen, um Soja anzubauen oder Mineralwasser zu fördern. Dabei verliert die Landbevölkerung ihre Lebensgrundlage und muss abwandern. Und dann gibt es noch diese Eskalation der Kapitalmärkte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das noch 50 Jahre so weitergehen kann.
Von den antireligiösen Zeiten der 1960er Jahre zur Wiederkehr des Religiösen heute
magzin.at: Die Beschäftigung mit Transzendenz und Metaphysischem stößt bei nicht wenigen Menschen heute auf Skepsis oder Ablehnung. Dafür gibt es viele Gründe. Zum Teil ist die antikirchliche Haltung zu einer antireligiösen Haltung überhaupt geworden. Zum Teil ist die Ursache dafür der Fundamentalismus, der sich in allen Religionen immer wieder zeigt. Gibt es bei Ihnen keine Angst, sich mit dem Thema zu beschäftigen, weil es so befrachtet ist?
Jo Aichinger: In den 1960er Jahren gab es die Tendenz, dass es nicht modern war, an etwas zu glauben. Da musste alles begründet werden, wissenschaftlich begründet. Diese Abwendung, diese Abneigung gegen alles Religiöse und Spirituelle dreht sich jetzt um. Die Philosophen Charles Taylor und Jürgen Habermas haben das, zum Teil schon in den 1990er Jahren, sehr gut beschrieben. Das Gefährliche daran ist der religiöse Fundamentalismus. Wohin das geht, weiß ich nicht. Das wird sich zeigen.
Andererseits glaube ich, dass der Mensch etwas Metaphysisches im Leben braucht. Ich kann nicht immer alles nur als immanent betrachten. Es gibt Dinge, die wir einfach nicht verstehen. Und selbst wenn wir noch mehr Satelliten ins All hinausschießen und das Weltall erforschen, wir werden es nicht begreifen. In 100 Jahren nicht.
Ich glaube auch, dass die Aufklärung immer noch nicht abgeschlossen ist. Es wird sich noch ewig hinziehen, bis die Leute einmal gescheiter werden. Nehmen wir die drei Weltreligionen des Monotheimus – Judentum, Christentum, Islam. Sie gehen auf eine gemeinsame Wurzel zurück. Aber sie bekämpfen sich auch heute noch untereinander. Der Iran scheint die Atombombe bauen zu wollen. Und die Amerikaner und Israelis haben Panik und wollen das verhindern. Und da werden wieder viele Milliarden an Geld reingesteckt.
magzin.at: Jo Aichinger, vielen Dank für das Interview!
genauere Infos zum Programm von „Imago Dei 2013“ finden Sie in magzin.at unter:
Festival Imago Dei 2013: Vom Anbeginn der Welt – Virtuose Konzerte Neuer, klassischer und ethnischer Musik
Foto Jo Aichinger: © Karin Wasner / zVg NÖ Festival GmbH
Foto Klangraum Krems Minoritenkirchen: © Helmut Lackinger / Klangraum Krems (Ausschnitt)