magzin.at legt das Thema „demografischer Wandel – Gespräch mit Josef Wallenberger“ in einer Serie von drei Artikeln vor.
Der 2. Artikel (in dem Sie hier gerade lesen) zeigt die neueste Generation der Senioren, die das Altern völlig neu definieren wird: die „Super-Grannys“, „Greyhoppers“ und „Silverpreneure“, die seit 2000 an die Seite der wohlbekannten aktiven „Freizeit-Rentner“ treten. (Der Artikel beginnt weiter unten)
Der 1. Artikel zeigt die demografischen Fakten – die Zahlen und Entwicklungen bis 2050 (aufbereitet von magzin.at). Und die Problemsicht von Regionalberater Josef Wallenberger. (zum 1. Artikel wechseln)
Der 3. Artikel zeigt im Gespräch mit Regionalberater Josef Wallenberger die Problemfelder und Folgen des demografischen Wandels für Gemeinden, Betriebe und Wirtschaftsstandorte in den Regionen. (zum 3. Artikel wechseln)
Einleitung in die Artikelserie:
Ein gewaltiger Umbruch der Gesellschaft steht bevor. Es ist der „demografische Wandel“, der ab 2019 volle Fahrt aufnimmt. Der Anteil der Senioren an der Bevölkerung Österreichs wird bis 2030 auf über 30 Prozent hinaufschnellen. Zugleich setzt ein Schrumpfungsprozess der Bevölkerung ein, der zunächst die strukturschwachen Gebiete, dann aber weite Teile Österreichs erfasst. Denn in rund der Hälfte der Bezirke Österreichs wird die Zahl der Kinder und Jugendlichen um über 10 Prozent abnehmen, in einem Viertel sogar über 20 Prozent. Zugleich wird sich vielerorts die Zahl der Senioren mehr als verdoppeln und sich mancherorts ihr Bevölkerungsanteil sogar auf bis fast 40 Prozent erhöhen.
magzin.at sprach mit Regionalberater Josef Wallenberger, der einen dringenden Diskussionsbedarf und zunehmenden Handlungsbedarf sieht. Vor allem auch Gemeinden, Betriebe und Wirtschaftsstandorte in den Regionen wird der demografische Wandel vor große Änderungen und Herausforderungen stellen: von der starken Verknappung der Arbeitskräfte bis hin zum völligen Umbruch der regionalen Märkte, bis hin zur Notwendigkeit für Gemeinden und Regionen, ihre Infrastruktur und die öffentlichen Dienste und Versorgungsleistungen an den großen Wandel – Alterung und Schrumpfung – anzupassen.
Andererseits steigt nicht nur die Lebenserwartung immer weiter, sondern ist auch eine völlig neue Generation an Senioren herangewachsen. Denn der demografische Wandel verschränkt sich mit dem tiefgreifenden Wertewandel in der Gesellschaft, der in den 1970er-Jahren verstärkt eingesetzt hat. Die jüngsten und künftigen Senioren folgen daher ganz neuen Lebensstilen. Es sind, wie gezeigt wird, die „Super-Grannys“, „Greyhoppers“ und „Silverpreneure“, die immer mehr an die Seite der aktiven „Freizeit-Rentner“ treten. Dadurch ergeben sich völlig neue Chancen und Möglichkeiten, den demografischen Wandel auf kreativen und neuen Wegen zu meistern. Ein Aufbruch in eine ganz neue Zeit des Alterns steht bevor.
2. Artikel. Demografischer Wandel – Die neuen Senioren:
von Andreas Wagner, Herausgeber des magzin.at
Die Älteren fühlen sich heute viel jünger
Auch die Marktforscher haben diese Tatsache längst entdeckt. „Das Alter und die Lebenserwartung steigen, aber auch die Wertehaltung und folglich die Wünsche, Bedürfnisse und Aktivitäten der Älteren ändern sich. Die Tourismus- und Marktforscher sehen da bereits in den 1990er-Jahren einen Wendepunkt, einen Bifurkationspunkt“, erklärt Regionalberater Josef Wallenberger im Gespräch mit magzin.at.
Auf den Punkt gebracht heißt das: Während früher Senioren im Alter für ihre Enkel sparten, sich selbst wenig gönnten und sich ins Privatleben zurückzogen, „ist es heute so, dass man sich im Alter etwas leistet, aktiv wird, sich die Welt anschaut, sich selbst etwas gönnt“, sagt Wallenberger. „Heute fühlen sich Menschen ab 50 zehn Jahre jünger, als sie sind. Erst ab ungefähr 75 Jahren fühlt man sich heutzutage alt. Das war früher ganz anders.“
Zwei völlig neue Generationen an Senioren – seit 1980 und seit 2000
Ganz ähnlich sehen dies zum Beispiel die Trendforscher rund um den bekannten Zukunftsforscher Matthias Horx, der in Wien lebt und auch im Waldviertel wohnte (und einst an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main Soziologie studierte; ein Fach, das in Österreich zu Unrecht völlig unterbewertet ist). „Altern wird zum zweiten Aufbruch, die Rente zur Durchgangsstation für die Eroberung neuer Horizonte“, heißt es in einer interessanten Publikation des „Zukunftsinstituts“ von Horx, das in Frankfurt/Main seinen Hauptsitz und in Wien einen Nebensitz hat (Oliver Dziemba, Eike Wenzel: Marketing 2020).
Nach dem „Alters-Rentner“ der „Freizeit-Rentner“
In dieser Publikation werden ingesamt aber zwei große Einschnitte im Lebensstil-Wandel der Älteren und Senioren in den letzten 30 Jahren festgestellt und zu Recht markiert. Nämlich, heißt es dort: In den Jahren 1980-1990 löste der neue „Freizeit-Rentner“ den vormaligen „Alters-Rentner“ ab, der für seinen Lebensabend auf Ruhe und Rückzug bedacht war. Seit etwa dem Jahr 2000 tritt aber ein dritter, ganz neuer Sozialtyp an Senioren in Erscheinung: der „Renten-Aussteiger“.
Auch bei ihm geht es um ganz neue „Lebensstile“ und um neue Konsumwünsche und Konsumbedürfnisse, für die Geld präferiert ausgegeben wird. Aber der „Renten-Aussteiger“ ist in seinem Lebensstil nochmals anders als der aktive „Freizeit-Rentner“, dessen eifrige Wander- und Reiselust die Touristiker und wir alle schon längst mit Freude und großer Sympathie allerorts wahrnehmen.
Die „Renten-Aussteiger“ seit 2000 – die neue Generation der Super-Grannys, Greyhoppers und Silverpreneure
Bei den „Renten-Aussteigern“, dieser jüngsten, ganz neuen Generation an Senioren, die seit dem Jahr 2000 zunehmend auftritt, unterscheidet das „Zukunftsinstitut“ drei große Gruppen, die das Seniorenleben der nächsten zwei, drei Jahrzehnte prägen werden. Ihre bunten, lustigen Namen sind nicht zufällig gewählt, sondern bringen ein neues Lebensgefühl und den tiefgreifenden Wertewandel in der Gesellschaft zum Ausdruck, der sich seit den 1950er-Jahren und verstärkt seit den 1970er-Jahren vollzogen hat.
Diese drei großen Gruppen der neuen Senioren der „Renten-Aussteiger“ nennt das Zukunftsinstitut die „Silverpreneure“, die „Super-Grannys“ und die „Greyhoppers“. Und es schätzt ihre Zahl bereits für das Jahr 2007 in Deutschland auf über 13 Mio. der damals Über-54-Jährigen (das heißt auf knapp über 50 Prozent der Altersgruppe 55+). Schon heute sind diese alle 60 Jahre und älter. Und bis zum Jahr 2020 werden diese drei Gruppen mit ihrem neuen Lebensstil, meint das „Zukunftsinstitut“, auf über 18 Mio. Senioren in Deutschland anwachsen.
Die „Silverpreneure“ – die Senioren im beruflichen „Unruhe-Stand“
Auch in ganz Österreich wächst diese neue Generation der „Renten-Aussteiger“ längst heran. Wohl keineswegs nur in den Städten. So sind die „Silverpreneure“ die (künftigen) Senioren im „Unruhe-Stand“, die ihr berufliches Engagement auch nach Beginn der Rente ganz oder teilweise fortsetzen oder vergleichbare Aktivitäten entfalten, um sich jung zu halten, sich beweisen zu können und ihre Erfahrungen an die Jüngeren weiterzugeben. „Arbeiten bedeutet für sie: Teilhabe an der Welt und an sozialen Zusammenhängen.“ (Marketing 2020)
Souverän nutzen sie das Internet, Smartphones und neue Kommunikationstechnologien und sind aufgeschlossene Internet-Shopper. Außerdem entfalten viele der „Silverpreneure“, so das Zukunftsinstitut, bei ihrem „zweiten Aufbruch“ einen großen Wissensdurst und drängen im Alter auf Bildung, Universitäten und in Studien, um sich ganz neue Horizonte zu erschließen. Für sie ist „lebenslanges Lernen“ ein vitales Lebenselixier.
Die „Super-Grannys“ – emanzipierte Frauen mit Freiheitsidealen, Reiselust und Kulturinteressen
Die zweite große Gruppe der neuen Seniorengeneration der „Renten-Aussteiger“ sind die „Super-Grannys“. Auch sie sind längst überall in Österreich zuhause. Sie sind weiblich und in hohem Maß auf Selbstverwirklichung getrimmt, übernehmen aber auch gerne die Rolle der souveränen, jedoch vollmodernen, progressiven Großmutter. „Super-Grannys sind gereifte Frauen auf permanenter Entdeckungsreise. Unterwegs zu sich selbst und zu neuen Kontinenten.“ (Marketing 2020)
Sie reisen gerne weit und sind dabei höchst wissbegierig, sie sind beziehungserfahren, höchst aktiv und gerne in der Öffentlichkeit und konsumieren sehr viel Kultur, und zwar Kino, Theater, Konzerte und Ausstellungen. „Sie wollen möglichst viel vom Leben“ und „sind egoistisch und fürsorglich zugleich – und durchbrechen die Kausalitätskette alt-gebrechlich-einsam-passiv“. Ihr unerschöpflicher Aktivismus auch in der Rente ist geprägt von den 1970er-Jahren, einem „emanzipatorischen Persönlichkeitsideal und neuen Freiheitsgefühlen“ (Marketing 2020). Sie tragen „maßgeblich zur soziokulturellen Verjüngung der Gesellschaft bei“ – durch ihre Vitalität und ihr modernes Selbstbewusstsein als Frauen.
Die „Greyhoppers“ – Körpererfahrung, Spiritualität, Bio-Produkte und neuer Lebenssinn
Sodann die dritte große Gruppe der neuen „Renten-Aussteiger“. Das sind die „Greyhoppers“. Ihre besonderen Kennzeichen sind Bewegungsfreude und Ausdauersport, bevorzugt das Laufen oder manche Extremsportart oder fernöstliche, meditative Techniken, die Körpererfahrung, Körpergefühl und Körperbalance zum Erlebnis machen. Außerdem aber, so das Zukunftsinstitut, sind sie gerne spirituell (aber nicht unbedingt kirchlich oder religiös).
Ihr „zweiter Aufbruch“ ins „Seniorenalter“ ist bei den „Greyhoppers“ oft auch ein „existentielles Schlüsselmoment“, ein radikaler Bruch mit allen Gewohnheiten und Gewissheiten, um ein neues Leben zu beginnen, neue Klarheit und einen tieferen Sinn des Lebens zu finden. Ihr Motto könnte heißen: „On the road again“. Die „Greyhoppers“ haben zumeist auch eine große Vorliebe (Präferenz) für Bio-Produkte, für Natur und ökologische Nachhaltigkeit. Auch in Österreich findet sie jedermann längst bereits vor Augen.
Die neuen „Renten-Aussteiger“ – bereits mehr als 50 Prozent ihrer Altersgruppe in Deutschland
Das Zukunftsinstitut schätzt die Zahl der „Greyhoppers“ für Deutschland im Jahr 2007 bereits auf fast 5 Mio., die der „Super-Grannys“ und die der „Silverpreneure“ auf je über 4 Mio. im Alter 55+. Das sind relevante Größen, nämlich über 13 Mio. bzw. mehr als 50 Prozent dieser Altersgruppe zu diesem Zeitpunkt in Deutschland. Das heißt eine knappe Mehrheit. Bis zum Jahr 2020 werden, so das „Zukunftsinstitut“, alle drei Gruppen in Deutschland auf über 18 Mio. Bundesbürger angewachsen sein. Auch in Österreich sind diese neuen Lebensstil-Gruppen längst in großer Zahl zu sehen, in Gaststätten, Hotels, bei den Bio-Produzenten und bei den vielen neuen, modernen Kulturangeboten auch auf dem Land.
Altersbild und Altersverhalten werden neu definiert – modernes Altern auf dem Vormarsch
Schon aufgrund ihrer bloßen großen Zahl und Mehrheit unter den neuen Senioren wird daher diese neue Seniorengeneration der „Renten-Aussteiger“ das Altersbild und das Altersverhalten zunehmend völlig umkrempeln. Sie werden – in Deutschland, genauso wie in Österreich und allen westlichen Ländern – den tiefgreifenden Kultur- und Wertewandel seit den 1970er-Jahren in den großen bevorstehenden demografischen Wandel positiv und kreativ hineintragen. Und dadurch ganz neue Chancen und Perspektiven des Alterns, des Lebens im Alter und für die Gestaltung des demografischen Wandels eröffnen. Zumal wenn Gesellschaft, Politik und Unternehmen die Vitalität, Impulse, Ideen und Bedürfnisse der neuen Seniorengeneration der „Renten-Aussteiger“ verstärkt erkennen, aufgreifen und in angemessenen Strukturen, Projekten und Angeboten sich konkretisieren lassen.
Kommunikation und neue Kulturproduktion müssen mitziehen
Ob die produktive Mobilisierung dieser neuen Senioren-Generationen gelingt, ist freilich auch eine Frage adäquater medialer Kommunikation (die in Österreichs Medien, auch großen Zeitungen, bislang weitgehend fehlt) und differenzierter, neuer Kulturproduktionen (Kunst, Literatur, Theater, Publizistik), die die Lebenserfahrung, Selbst-Erfahrung, Identität und den Lebensstil der neuen Senioren ins Bewusstsein der Öffentlichkeit bringen, wie der deutsche Publizist und Mitherausgeber der FAZ, Frank Schirrmacher, in seinem lesenswerten Buch „Das Methusalem-Komplott“ zu Recht stark hervorhob.
Kommentar: Österreich braucht Sozialwissenschafter
Nebenbei bemerkt, mit Blick auf die beiden, durchaus konträren Deutschen, Frank Schirrmacher und Matthias Horx, die in diesem Artikel angesprochen sind: Es wäre auch für Österreich ein großer Gewinn, wenn hierzulande mehr in Soziologie und Sozialwissenschaft studiert werden würde, empirischer und qualitativer, so wie in Deutschland längst, um neue gesellschaftliche und soziokulturelle Entwicklungen besser und tiefer zu verstehen – jenseits alter Ideologien. Mit Medizin, Biologie, Publizistik und Theologie, wie in Österreich als Ersatz von Soziologie und Sozialwissenschaften so beliebt, alleine sind zumindest der demografische Wandel und seine ganzen historischen, mentalen und soziokulturellen Tiefenstrukturen (einschließlich der Familienstrukturentwicklung) nicht so recht zu verstehen und kaum zu bewältigen. Im Übrigen würden auch die Touristiker und Marketingleute davon überaus profitieren, um nicht nur schon bekannte, sondern auch neue relevante Zielgruppen erkennen zu können. In diesem Sinne ist es sehr begrüßenswert, wenn etwa die Donau-Universität Krems jetzt auch die Sozialwissenschaften und sozialwissenschaftliche Studien forcieren will, wie es angekündigt wurde, um die Prozesse der EU-Integration zu unterstützen. Es ist an der Zeit, die spezifischen Kompetenzen der Soziologen und Sozialwissenschafter zur Bewältigung der großen Zukunftsaufgaben auch in Österreich zu nutzen. (Andreas Wagner)
zum 3. Artikel/Fortsetzung: Gemeinden u. Betriebe in Gefahr
zum 1. Artikel: Der große Umbruch. Zahlen und Fakten
Der obige Artikel „Demografischer Wandel 2: Die neuen Senioren“ steht als pdf (epaper) zum Download kostenfrei zur Verfügung:[wpdm_file id=70]
zitierte und angesprochene Publikationen:
Oliver Dziemba / Eike Wenzel: Marketing 2020. Mit e. Vorwort von Matthias Horx. Campus Verlag. Frankfurt/New York. 2009
Frank Schirrmacher: Das Methusalem-Komplott. Blessing Verlag. 19. Aufl. 2004 / Heyne Verlag 2005
weitere Infos zum Thema und zu Regionalberater Josef Wallenberger unter:
web.regionalberatung.at
facebook.com/regionalberatung
(offen für alle)
facebook.com/group/demografiecheck
(nur für facebook-members offen)