Demografischer Wandel 3: Gemeinden und Betriebe. Sepp Wallenberger: Wie der Alterswandel Gemeinden, Betriebe und regionale Wirtschaftsstandorte in Gefahr bringt

Der „demografische Wandel“ wird Gemeinden, Unternehmen und regionale Wirtschaftsstandorte vor größte Probleme stellen. Ab 2019 nimmt er volle Fahrt auf: Starker Anstieg der Seniorenzahl, Bevölkerungsrückgang in den Regionen und die geburtenstarke „Baby-Boomer-Generation“ geht in den Ruhestand. Regionalen Wirtschafts­standorten droht ein massiver Arbeits­kräfte­mangel. Regionale Märkte werden sich völlig verändern. Gemeinden müssen ihre Infrastruktur und Leistungen anpassen. Regionalberater Josef Wallen­berger erklärt im Gespräch mit magzin.at, welche einschnei­denden Folgen der „demografische Wandel“ für Betriebe und Gemeinden haben wird. — Artikel 3 einer dreiteiligen Artikelserie zum „demografischen Wandel“ mit Josef Wallenberger von magzin.at
Der demografische Wandel wird Gemeinden, Betriebe und regionale Wirtschaftsstandorte vor große Herausforderungen stellen.
An Solidarität und Kreativität wird es nicht fehlen. Der „demografische Wandel" bietet auch viele neue Chancen, gemeinsam die Aufgaben zu meistern.

magzin.at legt das Thema „demografischer Wandel – Gespräch mit Josef Wallenberger“ in einer Serie von drei Artikeln vor.

Der 3. Artikel (in dem Sie hier gerade lesen) zeigt im Gespräch mit Regionalberater Josef Wallenberger die Problemfelder und Folgen des demografischen Wandels für Gemeinden, Betriebe und Wirtschaftsstandorte in den Regionen. (Der Artikel beginnt weiter unten)

Der 1. Artikel zeigt die demografischen Fakten – die Zahlen und Entwicklungen bis 2050 (aufbereitet von magzin.at). Und die Problemsicht von Regionalberater Josef Wallenberger. (zum 1. Artikel wechseln)

Der 2. Artikel zeigt die neueste Generation der Senioren, die das Altern völlig neu definieren wird: die „Super-Grannys“, „Greyhoppers“ und „Silverpreneure“, die seit 2000 an die Seite der wohlbekannten aktiven „Freizeit-Rentner“ treten. (zum 2. Artikel wechseln)

Einleitung in die Artikelserie:

Ein gewaltiger Umbruch der Gesellschaft steht bevor. Es ist der „demografische Wandel“, der ab 2019 volle Fahrt aufnimmt. Der Anteil der Senioren an der Bevölkerung Österreichs wird bis 2030 auf über 30 Prozent hinaufschnellen. Zugleich setzt ein Schrumpfungsprozess der Bevölkerung ein, der zunächst die strukturschwachen Gebiete, dann aber weite Teile Österreichs erfasst. Denn in rund der Hälfte der Bezirke Österreichs wird die Zahl der Kinder und Jugendlichen um über 10 Prozent abnehmen, in einem Viertel sogar über 20 Prozent. Zugleich wird sich vielerorts die Zahl der Senioren mehr als verdoppeln und sich mancherorts ihr Bevölkerungsanteil sogar auf bis fast 40 Prozent erhöhen.

magzin.at sprach mit Regionalberater Josef Wallenberger, der einen dringenden Diskussionsbedarf und zunehmenden Handlungsbedarf sieht. Vor allem auch Gemeinden, Betriebe und Wirtschaftsstandorte in den Regionen wird der demografische Wandel vor große Änderungen und Herausforderungen stellen: von der starken Verknappung der Arbeitskräfte bis hin zum völligen Umbruch der regionalen Märkte, bis hin zur Notwendigkeit für Gemeinden und Regionen, ihre Infrastruktur und die öffentlichen Dienste und Versorgungsleistungen an den großen Wandel – Alterung und Schrumpfung – anzupassen.

Andererseits steigt nicht nur die Lebenserwartung immer weiter, sondern ist auch eine völlig neue Generation an Senioren herangewachsen. Denn der demografische Wandel verschränkt sich mit dem tiefgreifenden Wertewandel in der Gesellschaft, der in den 1970er-Jahren verstärkt eingesetzt hat. Die jüngsten und künftigen Senioren folgen daher ganz neuen Lebensstilen. Es sind, wie gezeigt wird, die „Super-Grannys“, „Greyhoppers“ und „Silverpreneure“, die immer mehr an die Seite der wohlbekannten aktiven „Freizeit-Rentner“ treten. Dadurch ergeben sich völlig neue Chancen und Möglichkeiten, den demografischen Wandel auf kreativen und neuen Wegen zu meistern. Ein Aufbruch in eine ganz neue Zeit des Alterns steht bevor.

*****

3. Artikel. Demografischer Wandel – Gemeinden und Betriebe:

von Andreas Wagner, Herausgeber von magzin.at

Sensiblisieren für den demografischen Wandel

„Es ist zunächst ganz wichtig, für das Thema des demografischen Wandels zu sensibiliseren“, sagt Regionalberater Josef Wallenberger im Gespräch mit magzin.at. „Und es ist wichtig, diesen negativen Nimbus zu beseitigen, dass Altern grau und finster ist und wir uns das alles nicht leisten können.“ Stattdessen bedarf es rechtzeitiger Vorbereitung und fundierter, sachlicher Analyse, ist Wallenberger zutiefst überzeugt: „Je eher wir uns mit dem demografischen Wandel auseinandersetzen, desto besser, leichter und kostengünstiger können wir die künftigen Probleme in den Griff bekommen.“

Vor allem auch Gemeinden und Betriebe werden betroffen sein

Leider wird der demografische Wandel in der bisherigen Diskussion vor allem auf nur zwei Probleme reduziert. Auch von den meisten Medien und großen Zeitungen. Nämlich – auf die Frage der Sicherheit und Finanzierbarkeit des Pensionssystems und die Frage der Altenpflege. Beides zweifellos wichtige Themen, die jedoch lösbar sind. Die aber nur einen Bruchteil der gesamten, vielschichtigen Problemlage des künftigen demografischen Wandels ins Auge fassen.

Regionalberater Josef Wallenberger sieht hingegen den demografischen Wandel als großes Zukunftsthema, das auch Gemeinden und Betriebe stark betreffen wird, ganze Regionen und viele (auch regionale) Wirtschaftsstandorte. Es muss daher, weit über die bisherige Diskussion hinaus, intensiv auch der Frage nachgegangen werden: Was bedeutet der demografische Wandel für die Gemeinden, für die Regionen, für die (regionalen) Betriebe und Wirtschaftsstandorte?

Total verknappter Arbeitsmarkt und Arbeitskräftemangel – erste Problemzone für Betriebe

Drei große Problemfelder sind es für Betriebe und Wirtschaftsstandorte, die der demografische Wandel, so Wallenberger, mit sich bringen oder enorm verschärfen wird: einen total verknappten Arbeitsmarkt und Arbeitskräftemangel, einen völligen Umbruch der regionalen Märkte und eine sprunghaft steigende Zahl an Unternehmensnachfolgen.

„Wenn immer mehr Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden und die Jugend in vielen Regionen weiter zurückgeht, dann wird der Wettbewerb um die Arbeitskräfte überall noch wesentlich härter“, sagt Wallenberger in klaren Worten. Der Arbeitsmarkt wird sich enorm verknappen. Arbeitskräftemangel wird vielerorts entstehen. Das könnte für viele Wirtschaftsstandorte und Unternehmen, gerade in ländlichen Regionen, wo viele (auch große) österreichische Betriebe zuhause sind, zu einem substantiellen Problem werden, der sogar den Fortbestand gefährdet.

In den Städten – mehr Integration für bessere Qualifikation erforderlich

Der heute vielfach beklagte Fachkräftemangel in der Wirtschaft ist zum Teil schon ein Vorbote. Andererseits werden die urbanen Zentren Österreichs, wo nur aufgrund der Zuwanderung mehr Kinder und Jugend zuhause sein werden als in den ländlichen Regionen, eine verstärkte Integration zu bewältigen haben, um in Schulen und Ausbildungen den Qualifikationsbedarf erreichen zu können.

Überhaupt wird das Thema Zuwanderung und Integration an Bedeutung gewinnen, um die Folgen des demografischen Wandels ausgleichen zu können. Jedenfalls wird sich die Ablehnung von Zuwanderung nach Österreich, wie sie in den letzten Jahrzehnten so stark war, im demografischen Wandel für die künftigen Generationen als großer Nachteil erweisen.

Völliger Umbruch regionaler Märkte vor der Haustür – zweite Problemzone auch für kleine Betriebe

Zweites Problemfeld für Betriebe: der Umbruch der regionalen Märkte durch den demografischen Wandel. „Viele Betriebe werden sich fragen müssen, wie entwicklt sich der regionale Markt vor der eigenen Tür?“, sagt Wallenberger. „Wie verändert sich das Kaufverhalten, wenn immer mehr Ältere da sind und immer weniger Jugend? Oder was wird aus meinem Geschäft, wenn überhaupt immer weniger Menschen in der Region leben?“

Diese Folgen des demografischen Wandels wird gerade auch kleine Betriebe betreffen. Den Nahversorger, den Installateur, den Bäcker, „aber das geht bis hin zum Bildungsberater und zum Nachhilfeinstitut“. Betroffen ist z.B. aber auch der ganze Bereich der Touristik. „Plakativ gesagt, den Seniorenteller dürfen sie nicht mehr anbieten. Die Senioren wollen schon jetzt, im Service und im Marketing, ganz anders angesprochen werden.“

Und als dritten großen Bereich des demografischen Wandels und der Betriebe nennt Wallenberger die Unternehmensnachfolge, das heißt die Übergabe von Betrieben (und des Eigentums an den Betrieben) aus Altersgründen an Nachfolger, die gegebenenfalls auch nicht aus der eigenen Familie stammen, um sich in den Ruhestand zurückziehen zu können. „Auch da kommt klarerweise eine verstärkte Übergangsphase auf uns zu, da auch in den Unternehmen der demografische Wandel greift.“

Der demografische Wandel belastet die Infrastrukturen – Problemzonen für die Gemeinden

Sodann die Folgen des demografischen Wandels für Gemeinden. Auch auf diese kommen ganz viele, ganz neue Herausforderungen durch Schrumpfung und Veränderung der Altersstruktur zu. „Auf kommunaler Seite ist es insbesondere die Frage der Infrastruktur“, erklärt Regionalberater Wallenberger, „die der demografische Wandel neu stellen wird“.

Das heißt: „Wie sieht es aus mit den Schulen in den Gemeinden und Regionen? Oder etwa mit der Krankenversorgung? Wie mit der Infrastuktur für Wasser und Abwasser? Oder mit den Freizeit- und Sporteinrichtungen, wenn die Bevölkerung weniger wird und immer älter?“, führt Wallenberger aus.

Völlige Neuorientierung der ehrenamtlichen Arbeit?

Aber auch die ehrenamtliche Arbeit, die in den Gemeinden eine große Rolle spielt, wird vom demographischen Wandel betroffen und verändert werden. „Können  die vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten – etwa die Feuerwehren oder andere der unzähligen freiwilligen Vereinstätigkeiten – in Zukunft noch aufrecht erhalten werden? Oder können sie sogar, da es mehr aktive Ältere gibt, weiter ausgebaut werden? Was wäre dafür erforderlich?“

Wallenberger als Regionalberater in Sachsen und Brandenburg – nützliche Erfahrungen im Zeitraffer

Wallenberger hat auf diesen Gebieten viel nützliche Erfahrung. Denn sein Unternehmen „Wallenberger & Linhard“ ist als Regionalberater nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland tätig. Vor allem in den ostdeutschen Bundesländern Sachsen und Brandenburg, die einst zur DDR gehörten. Diese hatten nach dem Mauerfall im Jahr 1989 mit Problemen massiver Abwanderung und Bevölkerungsrückgang zu kämpfen. „Nach der Wende im Jahr 1989 haben sich dort ganze Landstriche ‚entvölkert’“, berichtet Wallenberger. Vor allem Frauen und junge Erwachsene zogen in großer Zahl weg, in die Großstädte und nach Westdeutschland.

„Es gibt dort Regionen, die innerhalb von fünf bis acht Jahren eine Riesenabwanderung hatten“, erzählt Wallenberger. „Schrumpfungs­prozesse der Bevölkerung, die bei uns schrittweise stattfinden, sind dort in kürzester Zeit wie im Zeitraffer abgelaufen.“ Der Vorteil daraus für uns: Viele Ideen und Lösungen, mit demografischen Schrumpfungsprozessen umzugehen, wurden in Sachsen und Brandenburg für Gemeinden, Regionen und Unternehmen bereits entwickelt – auch mithilfe der Expertise von Wallenberger.

Der demografische Wandel berührt die überregionale „Raumordnung“

Relevant im demografischen Wandel sind auch die „dispersen Siedlungsstrukturen“, erklärt Wallenberger wieder mit Blick auf Österreich. Disperse Siedlungsstrukturen gibt es vor allem in Ost-Österreich. Das heißt, eine weiträumige Streuung der Ortschaften und Siedlungen in der Fläche. Ein typisches Beispiel hierfür ist die Region des Waldviertels. „Diese dispersen Siedlungsstrukturen werden im Zuge des demografischen Wandels die Aufrechterhaltung öffentlicher Dienste und Versorgungseinrichtungen an ihre Grenzen bringen.“

Das gilt für Gemeinden und ganze Regionen. Es geht beim Thema demografischer Wandel also auch verstärkt um Fragen der sog. „Raumordnung“. Das heißt, „um die Diskussion, wo möchte man welche Angebote in Regionen und Gemeinden beibehalten oder eventuell konzentrieren?“ Zum Beispiel Schulen, Schultypen, die Gesundheitsversorgung oder den öffentlichen Verkehr.

Überall gibt es „kritische Größen“, die beachtet werden müssen

Bei all Aufgabenbereichen der Gemeinden und der öffentlichen Hand gibt es „kritische Größen“, erklärt Wallenberger weiters, ab denen die Kosten für Errichtung oder Betrieb unverhältnismäßig werden. Aber auch umgekehrt. Es gibt Bereiche, wo ein Verzicht große Nachteile bringen würde, zumindest auf längere Frist. „Man muss also in jedem einzelnen Fall ganz genau hinschauen. Sind die Vorteile der Aufrechterhaltung von Infrastruktur vor Ort unverzichtbar? Oder werden kritische Größen unterschritten, so dass durch Zusammenlegung oder kooperative Leistungserfüllung eine bessere Qualität und leistbare Angebote entstehen.“

Ein gutes Beispiel dafür ist die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum. Zumal es „jetzt schon immer schwieriger wird“, so Wallenberger, „Turnus-Ärzte oder auch Allgemeinmediziner aufs flache Land zu bekommen“. Wie könnte das künftig, wenn der demografische Wandel Bezirke schrumpfen lässt, aussehen? „In dieser Frage wird sich wohl herauskristallisieren“, antwortet Wallenberger, „dass wir durch Etablierung einer viel stärkeren Kooperatione, Vernetzung und Leistungsabstimmung im Gesundheitssystem das Angebot in der regionalen Fläche aufrechterhalten können.“

Verstärkte Kooperation der Gemeinden – Schlüsselwort im demografischen Wandel

Verstärke Kooperation der Gemeinden innerhalb von Regionen ist das Schlüsselwort gegenüber dem demografischen Wandel. Etwa auch bei Schulen, die sich zusammenlegen ließen. Wobei dann andererseits neue Angebote des öffentlichen Verkehrs (Schulbusse) nachgezogen werden müssten. Aber auch hier, warnt Wallenberger, gilt nicht einfach Schwarz und Weiß.

„Deutschland hat Erfahrungen mit der Zusammenlegung von Schulstandorten in schrumpfenden Regionen. Das hat manchmal dahin geführt, dass das System des Transports teurer wurde als der Betrieb der früheren Schulstandorte. Es können eben auch zu große Einheiten entstehen. Überall gibt es kritische Größen. Wir müssen verändern und gegebenenfalls wieder verändern und jedenfalls viel flexibler werden in unseren Leistungsangeboten“, sagt Regionalberater Josef Wallenberger.

Viele Fragen, enorm viele Herausforderungen. Es ist Zeit, zu handeln. Der demografische Wandel steht bevor und wird in den nächsten Jahrzehnten Österreich und alle Wohlstandsgesellschaften grundlegend verändern. Dabei bleibt keine Region verschont. Ab dem Jahr 2019 nimmt er volle Fahrt auf. Aber er bietet auch viele neue Chancen, gemeinsam mit Jung und Alt, solidarisch und kreativ die neuen Aufgaben zu meistern.

*****

zum 1. Artikel – Der große Umbruch. Zahlen und Fakten
zum 2. Artikel – Die neuen Senioren: Super-Grannys, Greyhoppers, Silverpreneure

Der obige Artikel „Demografischer Wandel 3: Gemeinden und Betriebe in Gefahr“ steht als pdf (epaper) zum Download kostenfrei zur Verfügung:[wpdm_file id=71]

weitere Infos zum Thema und zu Regionalberater Josef Wallenberger unter:
web.regionalberatung.at
facebook.com/regionalberatung
(offen für alle)
facebook.com/group/demografiecheck
(nur für facebook-members offen)

Foto: © detailblick – Fotolia.com
artikelende