Martin Pollack im Residenz Verlag
In der schönsten Landschaft kann die schrecklichste Geschichte verborgen liegen, ein verschwiegener Ort des Grauens. Den namenlosen Toten ihre Geschichte zurückgeben, will Martin Pollack in seinem neuesten Buch „Kontaminierte Landschaften“.
von Wolfgang Kühn |Die Gräber sollen unsichtbar werden, in der Landschaft verschwinden, um die namenlosen Opfer für immer aus der Welt zu schaffen: ohne Leiche kein Verbrechen und ohne Verbrechen keine Anklage, – so liest man am Cover des jüngsten Buches von Martin Pollack.
Und exakt gegen dieses „Verschwinden“ kämpft der 1944 in Bad Hall geborene Schriftsteller seit vielen Jahren an. „Kontaminierte Landschaften“ heißt der 2014 bei Residenz erschienene Band der Reihe „Unruhe bewahren“.
Die schweigenden Gruben der Toten
Mit „kontaminierten Landschaften“ meint der Autor Landschaften, die Orte massenhaften Tötens waren, das jedoch im Verborgenen verübt wurde, den Blicken der Umwelt entzogen, oft unter strenger Geheimhaltung. Die Gruben, in welche die Toten nach den jeweiligen Massakern geworfen wurden, wurden zugeschüttet, begrünt und mit Bäumen und Sträuchern bepflanzt oder wucherten von selbst zu.
Unter oder hinter der schönsten Landschaft kann die schrecklichste Geschichte verborgen sein. Diese an die Oberfläche zu bringen, ist das große Anliegen von Martin Pollack, den namenlosen Toten eine, ihre Geschichte (zurück) zu geben.
Doch nicht nur Landschaften sind kontaminiert, auch Flüsse, Teiche und Seen. Martin Pollack berichtet unter anderem von einer Reise nach Slowenien zum Schloss Hrastovec. Die dort rund um die Burg liegenden Fischteiche dienten laut Erzählungen von Einheimischen als Begräbnisstätten für die Ermordeten. Das Wasser wurde aus den Teichen abgelassen, die Leichen im Schlamm vergraben und danach wurden die Teiche wieder gefüllt. Durch die beim Verwesungsprozess entstandenen Gase geschah es, dass die Teiche ein, zwei Jahre lang in den Wintermonaten nicht zufrieren konnten …
Die vielen Orte im Osten
Martin Pollack bringt viele Beispiele „kontaminierter Landschaften“ aus vielen Ländern, unter anderem Österreich (Rechnitz und Deutsch Schützen), Polen, Weißrussland (Pripjet-Sümpfe bei Minsk), Slowenien (Karsthöhlen), Slowakei und die Ukraine (Babyn Jar, jene Schlucht bei Kiew, der wir schon im Roman „Vielleicht Esther“ der Bachmann-Preisträgerin Katja Petrowskaja begegnet sind) und setzt so den Hunderttausenden namenlosen Toten (zumindest) ein literarisches Denkmal. Denn, wie Georg Renöckl in der NZZ vom 3. Juli 2014 schreibt: „Ein Grab ist für Martin Pollack nie das Ende einer Geschichte.“
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Wolfgang Kühn / © magzin.at
magzin-literaturtipp:
Martin Pollack. Kontaminierte Landschaften. Residenz Verlag. 2014
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Buchcover Bild: © Residenz Verlag