Eine anspruchsvolle Diskussion brachte die „Aschermittwochsrunde“ des Wiener Kabarettisten Gregor Seberg gestern am Campus Krems, als Vorveranstaltung zum „Symposion Dürnstein“. Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle war eigens gekommen, um am Podium im Kino im Kesselhaus mitzudiskutieren. „Risiko Sicherheit“ hieß das Thema. Veranstalter waren die Donau-Universität Krems, die Wachau Kultur Melk und das Stift Herzogenburg. Mit am Podium außerdem: LR Barbara Schwarz, Gudrun Biffl, Peter Kampits, Beatrix Konicek, Petrus Stockinger und Ursula Baatz.
„Risiko Sicherheit“ – Gregor Seberg: Angst macht unsicher und den Bürger unmündig
„Risiko Sicherheit“ – Sicherheitsdenken in Politik, Gesellschaft und Religion und dessen Risiken, lautete die Fragestellung ans Podium. Gregor Seberg befeuerte zunächst kabarettistisch-pointiert die Diskussion: „Eines ist sicher“, sagte er in seiner Eingangsrede, „Menschen, die verunsichert sind, kann man leichter lenken. Und wir sind, wie es scheint, umzingelt von Gefahren: Wirtschaftskrise, Grippewelle, Einbrecher. Aber je mehr man sich duckt, desto weniger sieht man. Anders gesagt, man wird blöder.“
Philosoph Peter Kampits: Ein Plädoyer für die Freiheit und die Zivilgesellschaft
Skeptisch gegenüber „übermäßiger Sicherheit“ äußerte sich am Podium Philosoph Peter Kampits, Professor an der Donau-Universität Krems. „Ich lege hier ein Plädoyer für die Freiheit ab“, sagte er. Der technologische Fortschritt habe bereits jetzt den „gläsernen Menschen“ geschaffen. „Ich glaube, je mehr wir nach Sicherheit verlangen, desto größer wird auch das Risiko, das mit diesem Sicherheitsbedürfnis verbunden ist.“
Mehr Kontrolle durch den Staat aus Gründen der Sicherheit sei daher abzulehnen. Insbesondere der Zivilgesellschaft komme hier die Aufgabe zu, die überbordenden Kontrolltendenzen im Zaum zu halten und die Freiräume des Individuums zu bewahren. „Ich will nicht ständig überwacht und mit Sicherheitsmaßnahmen konfrontiert werden“, so Kampits. „Und da sehe ich eine wichtige Aufgabe dessen, was man abseits der Politik auch die Zivilgesellschaft nennen kann.“
Vizerektorin Beatrix Konicek: Die Schule der einzigartigen Kinder – Paradigmenwechsel in der Pädagogik
Strafe als Mittel der Schule? fragte Seberg die Pädogogin am Podium. Nein, sagte diese, Beatrix Konicek, die Vizerektorin der Kirchlich-Pädagogischen Hochschule Krems. „Die Schule ist, das kann man sicher sagen, einem Paradigmenwechsel unterworfen“, antwortete sie. In der Pädagogik gelte heute ein „multipler Begabungsbegriff“.
Der Unterricht sei nicht mehr auf kognitive Leistung eingeschränkt. Es stehe die Förderung der vielseitigen Fähigkeiten und Qualitäten der Kinder im Vordergrund. „Ich denke, wir sollten die Einzigartigkeit der Kinder, die wir ins Leben begleiten, in den Mittelpunkt stellen. Und das tun wir.“
LR Barbara Schwarz: Über Familie und die gegenseitige Verantwortung als Keimzelle der Gesellschaft
Die Familie bezeichnete NÖ-Landesrätin Barbara Schwarz als „ganz wichtigen Baustein“ der Gesellschaft. Das „sichere Gerüst für eine funktionierende Gesellschaft“ sei jedoch „überall dort, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen“. Das könne eine Patchwork-Familie oder Alleinerziehende genauso sein wie die klassische Familie. Als weitere Beispiele besonderer Verantwortung nannte sie Lehrer, Pflegerinnen und Feuerwehrleute.
Schwarz kritisierte eine übermäßige Versorgungsmentalität als verbreitete Erwartungshaltung an den Staat. Und plädierte für den „verantwortungsbewussten, selbstbestimmten Bürger, der auch selber Dinge in die Hand nimmt“. „Wir haben so viel Verantwortung an den Staat abgegeben, für alles und jedes, was in unserem Leben passiert.“
Gudrun Biffl: Gesellschaften sind heterogener geworden. Das Individuum darf nicht alleine gelassen werden.
Migrationsforscherin Gudrun Biffl, Professorin an der Donau-Universität Krems, lenkte den Blick auf die Vielfalt moderner Gesellschaft. „Wir sind jetzt Migrationsgesellschaften. Das heißt, unsere Gesellschaften werden heterogener.“ Mehr unterschiedliche Verhaltensformen seien dadurch zugelassen. „Es kann durchaus sein, dass das ängstigt.“
Die Frage sei, wie man diesen Ängsten begegne, wie das Gefühl von Sicherheit vermittelt und hergestellt werden könne. „Voraussetzung dafür, derartige Ängste überwinden zu können, ist sicherlich ein größeres Wissen.“ Auch ein größeres Wissen über sich selbst.
Biffl brachte zudem vor, dass man das Individuum nicht allein lassen dürfe. Sowohl die weltweit fortschreitende Urbanisierung, die Verelendung von Stadtvierteln selbst in Europa als auch die Landflucht erforderten sachliche Analyse und Betrachtung und geeignete Konzepte zur Gegensteuerung. „Man muss überall hinschauen. Und man muss Strukturen schaffen. Das kann man nicht dem Individuum alleine überlassen. Wir brauchen ein Gemeinwesen, das wir eventuell auch neu schaffen müssen im Zusammenhang mit solchen Veränderungen.“
Bundesminister Karlheinz Töchterle: Die antike Philosophie als Richtschnur – Epikur und Stoa
Auf die Frage, ob die Politik nicht häufig nur noch reagieren könne, statt zu regieren, antwortete Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle: „Dass man oft reagiert und nicht regiert – ist ein schönes Wortspiel.“ Es treffe mitunter zu. Aus seiner Sicht, so der Minister, vor allem bei der ökologischen Entwicklung. „Vor allem die ganze ökologische Problematik, die ich selber seit über 40 Jahren intensiv verfolge, ist eine, wo ich die Politik eher reagieren, denn regieren sehe.“
Minister Töchterle bekundete sein philosophisches Interesse an der Fragestellung „Risiko Sicherheit“. Und entführte die Zuhörer in die antike Philosophie, zu Epikur und die Stoa. Mit Verweis auf Vergleichbares im Christentum. „Ein zentrales Anliegen dieses Nachdenkens über den Menschen und sein Los ist immer gewesen, dem Menschen Sicherheit zu geben, – dabei aber diese Sicherheit in ihm selber oder in einer göttlichen Macht zu gründen, nicht in irgendeiner ‚Umgebung‘.“ Neue Konzepte zu mehr Selbstverantwortung des Menschen könnten hier ansetzen.
Chorherr Stockinger: Der strafende Gott ist verschwunden
Chorherr Petrus Stockinger, Stift Herzogenburg, vertrat am Podium die katholisch-kirchliche Lehre. Gregor Sebergs Kirchenkritik, durchaus veraltet, wies er als klischeehaft und Zerrbild zurück. Dabei ging es viel um die christliche Vorstellung der Hölle. „Wir sind“, entgegnete Stockinger, „als Priester keine Höllenprediger. Ich weiß nicht, wo das Bild des strafenden Gottes noch vermittelt wird.“ Er kenne niemanden, auch als Lehrer nicht, der das tue.
Der Debatte um Sicherheit fügte Stockinger einen wichtigen theologisch-philosophischen Gedanken bei. Er stellte die heute verbreitete Vorstellung von der Macht des Willens des Menschen – als Kern des Menschenbilds und Richtmaß sozialer Anerkennung – in Frage. „Wir leben in einer Zeit, die ganz gerne sagt, wenn du es nur willst, dann kannst du es. Sprich, wenn du etwas nicht kannst, dann liegt es an dir, weil du es zu wenig willst.“
Philosophin Ursula Baatz: Autarkie ist Illusion – der allerhöchste Vernetzungsgrad der Gesellschaft
Zum Abschluss sprach Ursula Baatz. Sie stellte das Programm des „Symposion Dürnstein“ vom 14.-16. Februar vor, das sie selbst kuratierte und moderiert. Und knüpfte kurz an die Diskussion der „Aschermittwochsrunde“ an, an die Vorstellung der „Autarkie“ als Leitbild sozialer Gestaltung in Hinsicht auf bevorstehende, hochkarätige Vorträge beim Symposion: „Ich glaube, die Frage der Autarkie, die angesprochen wurde, ist ein ganz heikles Thema. Denn wir sind heute in keiner Weise mehr autark. Wir sind vielmehr in einem hohen Maß vernetzt. Und dieses Vernetzsein ist hochgradig störungsanfällig.“
weiteres zum „Symposion Dürnstein 2013“ in magzin.at unter:
Symposion Dürnstein: ‚Risiko Sicherheit‘ – Wie Sicherheit in Politik, Technik und Leben Unsicherheit schafft – 14.-16. Februar