Das Weiße Meer und der Tod als steter Begleiter – Stefanie Sourlier, Schweizer Autorin, zu Gast in Krems

In ihrem ersten Erzählband „Das Weiße Meer“ (2011) ist der Tod ein steter Begleiter. Die Züricher Jungautorin Stefanie Sourlier lebt derzeit in Krems als Gast des Literaturhaus NÖ. Hier schreibt sie an einem Roman, der nach Odessa führt. Wolfgang Kühn sprach mit ihr über ihre Literatur und ihre Liebe zum Osten Europas.
Stefanie Sourlier, Schweizer Jungautorin
Stefanie Sourlier. Die Schweizer Autorin schreibt derzeit in Krems an ihrem Roman.
von Wolfgang Kühn |

Die Schweizer Autorin Stefanie Sourlier ist wie die meisten Gäste des Literaturhaus NÖ zum ersten Mal in Krems. Den Kremser Wein, verrät sie, kannte sie schon vorher. Sie jobbt nebenbei in einer Bar in Zürich, wo sie aufgewachsen ist und lebt (außerdem in Berlin), und da gibt es vorzüglichen Grünen Veltliner (aus Oberfucha).

Der Tod als steter Begleiter

In ihrem Debüterzählband „Das Weiße Meer“ (2011) ist der Tod ein steter Begleiter. Sei es ein Freund, der Großvater oder ein verunfallter Kater. Warum? Ja, meint Stefanie Sourlier, diese Frage habe sie sich auch schon öfters gestellt und auch, ob es klug sei, ein Buch mit einer Geschichte („Kupfersulfatblau“) zu beginnen, in der es gleich einen Selbstmordversuch gibt?

Das Weisse Meer, Erzählband von Stefanie Soulier (Cover)
Das Debütwerk von Sourlier „Das Weiße Meer“ erschien 2011 bei der Frankfurter Verlagsanstalt.

Aber meist ergebe sich das einfach und es gehe ihr auch weniger um den Tod an sich, sondern mehr um den Tod als Bruch, als Zäsur, die erin­ne­rungs­auslösend ist. Wenn jemand tot ist, kann man ihn nicht mehr fragen und muss sich zwangsläufig selbst erinnern. Sie thematisiert die Hinterbliebenen, die die Ver­gan­gen­heit aus Er­zäh­lungen, Erinnerungen, Fotografien zu rekonstruieren versuchen, um die Gegenwart zu verstehen.

Überraschung in Krems

Ein wenig Sorge hatte sie schon vor diesem Monat in Krems, ob es ihr, dem Stadtmenschen aus Zürich und Berlin, hier nicht zu provinziell sein würde. Un­be­grün­det, wie sie nach einer guten Woche weiß, denn Krems hat sowohl touristisch als auch kulturell viel zu bieten. Außerdem ist auch Wien nicht weit.

Stefanie Sourlier genießt den Blick aus ihrem Fenster auf die vorbeifließende Donau und bemerkt gleichzeitig das Gefängnis auf der anderen Seite des Gebäudes, das zwar mitten in der Stadt liegt, aber durch seine Abgeschlossenheit irgendwie doch nicht existent ist. „Eine Welt für sich ist das“, meint die Autorin, die sich sehr für die Ränder der Gesellschaft interessiert.

„Sourliers Erzählband lässt aufatmen“ – Josef Winkler

Auf der Buchcoverrückseite von „Das Weiße Meer“ ist der öster­rei­chische Schrift­steller Josef Winkler zitiert, den der Erzählband aufatmen lässt, weil die junge deutsche Literaturgeneration endlich wieder ein Talent hat, dessen Prosa das Vielversprechende längst eingelöst hat und ihn beim Lesen neugierig macht und in Atem hält.

Das Unheimliche steckt im Heimlichen und Heimischen

Stefanie Sourlier hat Josef Winkler 2006 im Zuge einer Autoren­werk­statt kennengelernt, als jeder Teilnehmende einen Autor bzw. Autorin einladen durfte. Sie haben beide eine Lesung gehalten und Josef Winkler hat dann auch ihre vorhin erwähnte Geschichte „Kupfer­sulfat­blau“ besprochen.

Zürich - beflaggt
Zürich - hübsch beflaggt. Dort und in Berlin lebt die Schweizerin.

Winkler, dessen Geschichte noch viel morbider war als ihre, hat ihr den Tipp gegeben, die Details zu vertiefen und auszuformulieren. Mit Josef Winkler verbindet sie das Interesse an den Ritualen des Todes, an Kindheitsängsten, an der Familie, dem Vertrauten als Ort des Grauens, und in diesem Zusammenhang führt sie ein abgewandeltes Freud-Zitat ins Treffen – das Unheimliche steckt im Heimlichen und Heimischen.

Arbeit an ihrem ersten Roman – „Nach Odessa“

In Krems arbeitet Stefanie Sourlier an ihrem ersten Roman mit dem Arbeitstitel „Nach Odessa“. Ihr Urgroßvater stammt aus Odessa und auf einer Reise in die ukrainische Hafenstadt am Schwarzen Meer kam sie auf die Idee, über eine ähnliche Spurensuche zu schreiben. Aber das Buch wird nicht autobiografisch sein, auch wenn es darin um eine Familiengeschichte geht.

Assoziative Methode, Zeichenleser und Koinzidenzen

Das beantwortet auch schon fast die Frage, wie Stefanie Sourlier zu ihren Geschichten kommt. Sie geht von Bildern, Szenen, Geschichten aus und transzendiert diese in andere Geschichten, sie nennt das „assoziative Methode“ und meint lachend, dass es gut möglich sei, dass etwas, das (ihr) hier in Krems passiert, dann plötzlich in Odessa geschieht.

Es geht oft auch um Zufälle und Koinzidenzen, darum, Vergangenheit und Gegenwart in einen Bezug zu setzen, obwohl kein Zusammenhang besteht. Stefanie Sourlier erschafft gerne Figuren, die versuchen, Zeichen zu lesen, und die daraus eine eigene Logik herstellen.

Die Schweizer Autorin Stefanie Sourlier in Krems - Foto: Wolfgang Kühn
Fasziniert vom Osten Europas. Der Urgroßvater der Schweizerin Sourlier stammte aus Odessa.

Der Osten Europas beginnt in Wien

Der Urgroßvater aus Odessa und die damit verbundene Familiengeschichte erklärt zum Teil ihr Interesse für den Osten. Das „Weiße Meer“ bei Archangelsk hat sie selbst schon einmal besucht. Außerdem hat sie immer schon gerne Literatur aus Galizien und der Bukowina gelesen, vor allem Joseph Roth und Paul Celan.

Sie verfolgt die Veränderungen seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und auch der Balkan interessiert sie sehr, nicht zuletzt dank einiger Freunde und Bekannter aus Ex-Jugoslawien. Wo beginnt für eine Schweizerin dieser „Osten“, ob da Wien auch schon dazu­gehört? Ihre diplomatische Antwort lautet, Wien sei „das Tor zum Osten“.

Einzelgängerin und moderne Nomadin

Als Schriftstellerin ist sie eher eine Einzelgängerin und nicht so im „Schriftstellerkuchen“ drinnen wie andere, sei aber auch mit einigen Autorinnen und Autoren befreundet und lese viel und gerne aktuelle Literatur. Sie erzählt von einer Kollegin, die meint, sie schreibe, um mit anderen Schriftstellern zu kommunizieren. Stefanie Sourlier sieht das nicht so, versteht den Austausch allgemeiner, also auch mit anderen Künsten und auch mit den Texten früherer Schriftsteller.

Dem vom März-Gast des Literaturhaus NÖ, Olga Tokarczuk aus Polen, aufgeworfenen Bild, wonach der moderne Mensch ein Nomade sei, kann sie viel abgewinnen. Sie lebt in Zürich und zeitweise in Berlin, da steht Herumreisen an der Tagesordnung, dazu Lesungen und Stipendien, wobei sie betont, dass sie sich nur für Aufenthalte an interessanten Orten bewirbt. Ergo: Krems ist interessant.

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Stefanie Sourlier, geboren 1979 in Basel, aufgewachsen in Zürich, studiert Germanistik und Filmwissenschaften. Sie lebt in Berlin und Zürich, erhielt das Arbeitsstipendium des Berliner Senats 2007 und war 2011 Aufenthaltsstipendiatin im Literarischen Colloquium Berlin. 2011 erschien der Erzählband „Das Weiße Meer“ (Frankfurter Verlagsanstalt). Stefanie Sourlier ist derzeit Atelier-Gast des Literaturhaus NÖ und arbeitet an ihrem ersten Roman „Nach Odessa“.

 

Lesung:
Salon Dependance Ost präsentiert Stefanie Sourlier
Datum: Dienstag, 29. Mai 2012
Beginn: 19 Uhr
Ort: Buchkontor,
1150 Wien, Kriemhildplatz 1

Eintritt frei

weitere Infos unter:
www.ulnoe.at
www.buchkontor

Foto: © Foto Sourlier ganz oben: (c) Laura J. Gerlach
Buchcover: (c) Frankfurter Verlagsanstalt
Foto Zürich: (c) pxw – fotolia.com
Foto Sourlier unten: (c) Wolfgang Kühn
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