Einleitung in die Artikelserie:
Ein gewaltiger Umbruch der Gesellschaft steht bevor. Es ist der „demografische Wandel“, der ab 2019 volle Fahrt aufnimmt. Der Anteil der Senioren an der Bevölkerung Österreichs wird bis 2030 auf über 30 Prozent hinaufschnellen. Zugleich setzt ein Schrumpfungsprozess der Bevölkerung ein, der zunächst die strukturschwachen Gebiete, dann aber weite Teile Österreichs erfasst. Denn in rund der Hälfte der Bezirke Österreichs wird die Zahl der Kinder und Jugendlichen um über 10 Prozent abnehmen, in einem Viertel sogar über 20 Prozent. Zugleich wird sich vielerorts die Zahl der Senioren mehr als verdoppeln und sich mancherorts ihr Bevölkerungsanteil sogar auf bis fast 40 Prozent erhöhen.
magzin.at sprach mit Regionalberater Josef Wallenberger, der einen dringenden Diskussionsbedarf und zunehmenden Handlungsbedarf sieht. Vor allem auch Gemeinden, Betriebe und Wirtschaftsstandorte in den Regionen wird der demografische Wandel vor große Änderungen und Herausforderungen stellen: von der starken Verknappung der Arbeitskräfte bis hin zum völligen Umbruch der regionalen Märkte, bis hin zur Notwendigkeit für Gemeinden und Regionen, ihre Infrastruktur und die öffentlichen Dienste und Versorgungsleistungen an den großen Wandel – Alterung und Schrumpfung – anzupassen.
Andererseits steigt nicht nur die Lebenserwartung immer weiter, sondern ist auch eine völlig neue Generation an Senioren herangewachsen. Denn der demografische Wandel verschränkt sich mit dem tiefgreifenden Wertewandel in der Gesellschaft, der in den 1970er-Jahren verstärkt eingesetzt hat. Die jüngsten und künftigen Senioren folgen daher ganz neuen Lebensstilen. Es sind, wie gezeigt wird, die „Super-Grannys“, „Greyhoppers“ und „Silverpreneure“, die immer mehr an die Seite der uns wohlbekannten aktiven „Freizeit-Rentner“ treten. Dadurch ergeben sich völlig neue Chancen und Möglichkeiten, den demografischen Wandel auf kreativen und neuen Wegen zu meistern. Ein Aufbruch in eine ganz neue Zeit des Alterns steht bevor.
magzin.at legt das Thema „demografischer Wandel – Gespräch mit Josef Wallenberger“ in einer Serie von drei Artikeln vor.
Der 1. Artikel (in dem Sie hier gerade lesen) zeigt die demografischen Fakten – die Zahlen und Entwicklungen bis 2050 (aufbereitet von magzin.at). Und die Problemsicht von Regionalberater Josef Wallenberger. (Artikelbeginn – siehe unten)
Der 2. Artikel zeigt die neueste Generation der Senioren, die das Altern völlig neu definieren wird: die „Super-Grannys“, „Greyhoppers“ und „Silverpreneure“, die seit 2000 an die Seite der wohlbekannten aktiven „Freizeit-Rentner“ treten. (zum 2. Artikel wechseln)
Der 3. Artikel zeigt im Gespräch mit Regionalberater Josef Wallenberger die Problemfelder und Folgen des demografischen Wandels für Gemeinden, Betriebe und Wirtschaftsstandorte in den Regionen. (zum 3. Artikel wechseln)
1. Artikel. Demografischer Wandel – der große Umbruch:
von Andreas Wagner, Herausgeber des magzin.at
„Eine Lawine kommt jetzt auf uns zu“
„Das Thema des demografischen Wandels und der Zunahme der Älteren ist nicht wirklich neu“, sagt Regionalberater Josef Wallenberger beim Interview mit magzin.at. „Aber jetzt kommt allmählich eine Lawine auf uns zu.“ Und zwar auf Österreich wie auf alle westlichen Wohlstandsgesellschaften. „Agequake“ nennen daher einige Wissenschafter und Publizisten den großen Umbruch, der bevorsteht: das „Altersbeben“.
Die Uhr tickt – die Baby-Boomer-Jahrgänge treten bald in den Ruhestand
Die Uhr tickt. Noch herrscht Ruhe vor dem Sturm. Aber schon ab dem Jahr 2014 geht Österreichs „Baby-Boomer“-Generation in Pension. Vor allem die allergrößten Geburtenjahrgänge Österreichs nach dem Zweiten Weltkrieg, die Jahrgänge 1961 bis 1964, treten ab 2019 in großer Zahl in den Ruhestand. Damit wird der demografische Wandel zum Erdrutsch. „Die Baby-Boomer-Generation der besonders starken Geburtsjahrgänge ab 1961 tritt ab den nächsten fünf, sechs Jahren aus dem Erwerbsleben aus. Damit wird der demografische Wandel sich markant beschleunigen“, so Josef Wallenberger.
Anteil der Über-59-Jährigen wächst auf ein Drittel
Es lohnt aber und ist wichtig, die Entwicklung des demografischen Wandels in seinen langfristigen Auswirkungen zu sehen. Und zunächst einmal die Frage des faktischen Pensionsantrittsalters, das derzeit in Österreich im Durchschnitt bei 58,4 Jahren (Stand 2012) liegt, beiseite zu lassen und den Blick auf den Altersstrukturwandel insgesamt zu richten. Die Prognose der Statistik Austria lautet: Der Anteil der Über-59-Jährigen wird in Österreich bis zum Jahr 2030 auf über 31 Prozent und bis 2050 auf über 34 Prozent anwachsen, während er im Jahr 1999 erst bei 20 Prozent und im Jahr 1952 nur bei 16 Prozent lag.
Zunahme der Senioren in Österreich um 1,2 Mio. bis 2050
In absoluten Zahlen heißt das: Gegenüber dem Vorjahr 2012 wird in Österreich die Zahl der Über-59-Jährigen von 1,99 Mio. bis 2020 um rund 300.000 auf 2,29 Mio. steigen, von 2012 bis 2030 um 825.000 auf dann 2,8 Mio. und von 2012 bis 2050 um 1,2 Mio. auf dann 3,2 Mio. insgesamt. Das ist ein Zuwachs bei der Altersgruppe der Über-59-Jährigen in Österreich zwischen 2012 und 2030 um über 40 Prozent, zwischen 2012 und 2050 um über 60 Prozent. So die derzeit aktuelle „Hauptprognose“ der Statistik Austria.
Manche Regionen und Bezirke altern stärker – quer durch Stadt und Land
„Glücklicherweise werden wir immer älter. Wir müssen uns aber rechtzeitig auf die neue Situation einstellen“, sagt Josef Wallenberger. „Vom Wohnbau bis zum Freizeitverhalten, von Dienstleistungen bis zu den Produkten kommen ganz neue Anforderungen auf uns zu, auf alle, auch auf die Regionen, Gemeinden und Betriebe.“
Dabei wird in einigen Regionen Österreichs der Bevölkerungsanteil der Senioren ganz besonders hoch werden – wie insbesondere in einigen Bezirken der Obersteiermark, Oberkärntens, des Südburgenlands und in Osttirol. Aber auch in zwei Bezirken des oberen Waldviertels – in Gmünd und Waidhofen / Thaya. Das heißt, der Seniorenanteil wird dort am weitesten über dem Bundesdurchschnitt liegen. In einigen dieser Bezirke dürfte im Jahr 2050 der Anteil der Senioren 65+ sogar über 36 Prozent betragen. In einem sogar über 37 Prozent. (lt. ÖROK 2009)
Hingegen wird in vielen anderen Regionen und Gemeinden die Anzahl der Senioren überdurchschnittlich stark wachsen – so in vielen Teilen Tirols und Vorarlbergs, aber auch in Niederösterreich (etwa Wien-Umgebung, Korneuburg, Tulln und Baden), im Nordburgenland sowie aber auch im Mühlviertel (Urfahr-Umgebung, Perg und Freistadt) und in den zentrumsnahen Bezirken Linz-Land, Graz-Umgebung und Salzburg-Umgebung. Dort wird sich die Zahl der Senioren 65+ bis zum Jahr 2050 mehr als verdoppeln. Und in mehreren dieser Bezirke wird sich die Zahl der Über-84-Jährigen sogar mehr als vervierfachen.
Bevölkerungsschwund in vielen Alpinregionen und Teilen des Waldviertels
Aber der demografische Wandel birgt noch ein zweites, ganz großes Problem. Es ist der Bevölkerungsrückgang in vielen Gebieten. Zunächst wird bis zum Jahr 2030 und 2050 die Bevölkerung in den strukturschwachen Regionen Österreichs (weiter) schrumpfen – in vielen Teilen Kärntens, der Steiermark (v.a. Obersteiermark), in Osttirol, im Lungau und Teilen des oberen Waldviertels (bis 2050 um über -10 und bis zu -20 Prozent). Darüber hinaus, aber geringer, auch in einzelnen weiteren Bezirken wie Rohrbach im Mühlviertel, Schärding im Innviertel oder Jennersdorf und Güssing im Südburgenland.
Rückgang der Kinder und Jugendlichen in fast allen Regionen Österreichs
Noch dramatischer aber ist: In fast allen Regionen Österreichs wird zur gleichen Zeit die Zahl der Kinder und Jugendlichen bis 2030 und 2050 noch weiter sinken – mit Ausnahme nur ganz weniger urbaner Zentren und ihres Umlands. Das heißt, der Schrumpfungsprozess der Bevölkerung greift in allen Regionen immer weiter um sich und dreht sich als Spirale noch weiter abwärts. So die Prognosen der Statistik Austria und der ÖROK, der Österreichischen Raumordnungskonferenz, sofern keine große Trendwende eintritt.
Eine Zunahme bei den Bis-19-Jährigen wird es demnach bis zum Jahr 2050 nur in einigen wenigen Regionen Österreichs geben: in Wien, im niederösterreichischen Umland Wiens, in Graz und im Nordburgenland. Außerdem in St. Pölten, Linz-Wels, Innsbruck und NÖ-Süd (Wr. Neustadt und Umgebung). In allen anderen Regionen Österreichs aber wird die Zahl der Kinder und Jugendlichen bis zum Jahr 2050 sinken – zum Teil ganz erheblich.
Die weitere Abwärtsspirale läuft fast überall
Und zwar: In fast zwei Dritteln (!!) aller Bezirke Österreichs wird die Zahl der Bis-19-Jährigen zurückgehen. Dabei in rund der Hälfte aller österreichischen Bezirke um mehr als -10 Prozent, in über einem Drittel der Bezirke um mehr als -15 Prozent und in einem Viertel aller Bezirke um mehr als -20 Prozent (!!) – im Vergleich zum Jahr 2009. In einigen sogar um mehr als -30 Prozent. Das heißt: In der großen Fläche der Regionen Österreichs geht die Bevölkerungsspirale dann erst richtig abwärts. Wenn nichts Wesentliches an Gegensteuerung passiert.
Hier liegt zugleich ein weiteres Aufgaben- und Denkfeld. Denn insgesamt wird die Bevölkerung Österreichs wachsen. Von jetzt 8,4 Mio. (Jahr 2012) auf 9 Mio. im Jahr 2030 und 9,3 Mio. im Jahr 2050. Aber dieses Wachstum wird durch Zuwanderung ermöglicht, die bislang vorwiegend das Bevölkerungswachstum der urbanen Zentren stärkt – und damit die Zahl der dort lebenden Kinder und Jugendlichen hebt.
„Eine Entwicklung, die längst begonnen hat und alle Wohlstandsgesellschaften trifft“
„Schrumpfen oder Wachstum im demografischen Wandel – es sind langfristige Prozesse, mit denen man sich sachlich auseinandersetzen muss“, sagt Regionalberater Josef Wallenberger. „Das ist kein Positiv- oder Negativthema, sondern eine Entwicklung, die längst begonnen hat, unumkehrbar ist und die die westlichen Wohlstandsgesellschaften jetzt allesamt trifft.“ Seiner Ansicht nach ist es wichtig und höchst an der Zeit, dass nun aber endlich das öffentliche Problembewusstsein in großem Umfang dafür geschärft wird und eine breite Diskussion des demografischen Wandels und seiner Folgen – bis hinein in die Gemeinden und Betriebe – beginnt.
„Der demografische Wandel ist äußerst vielschichtig“
Jedenfalls sieht Josef Wallenberger großen Bedarf an einer diffenzierten, umfassenden Diskussion, die einerseits die großen Herausforderungen, aber andererseits auch die vielen, neuen Chancen erkennt. Denn der demografische Wandel ist äußert vielschichtig und umfasst viele Ebenen. „Der demografische Wandel ist eine Welt mit irrsinnig vielen Schattierungen. Es gibt unterschiedlichste Entwicklungen selbst in nächster Nachbarschaft, selbst innerhalb von Regionen, zwischen den Gemeinden und sogar innerhalb von Gemeinden“, betont Wallenberger.
Der demografische Wandel mischt sich mit einem Werte- und Kulturwandel – eine ganz neue Seniorengeneration tritt auf
Und was, zweitens, noch viel wichtiger ist: Mit dem demografischen Wandel geht längst schon ein großer Wertewandel in der Gesellschaft und Wandel der Alltags- und Lebenskultur einher. So werden die künftigen Senioren nicht nur im Schnitt älter und länger leben als alle früheren Generationen. Sie werden gesünder und vitaler sein und vor allem ihr Leben im Alter noch aktiver und bunter gestalten als alle frühere Generationen von Senioren, mit ganz neuen Lebensstilen und ganz neuen Lebenskonzepten.
zum 2. Artikel – Fortsetzung der Artikelserie: Die neuen Senioren
Der obige Artikel „Demografischer Wandel 1: Der große Umbruch in Österreich“ steht als pdf (epaper) zum Download kostenfrei zur Verfügung:[wpdm_file id=69]
Alle Zahlen und Fakten im obigen Artikel wurden von magzin.at aufbereitet und beruhen auf Statistiken und Prognosen der Statistik Austria und der ÖROK.
weitere Infos zum Thema und zu Regionalberater Josef Wallenberger unter:
web.regionalberatung.at
facebook.com/regionalberatung
(offen für alle)
facebook.com/group/demografiecheck
(nur für facebook-members offen)