Seit Anfang März ist eine der bekanntesten polnischen Gegenwartsautorinnen, Olga Tokarczuk, zu Gast im Schriftsteller-Atelier des Literaturhaus NÖ (ULNÖ) in Krems. Ihr vorletztes Buch nennt sich „Unrast“ (2009), ihr jüngster Roman in deutscher Übersetzung heißt „Der Gesang der Fledermäuse“ (2011).
Die Unrast unserer Zeit
„Unrast“ handelt von der Reiselust und dem Nomadentum des modernen Menschen, von den Möglichkeiten sich fortzubewegen, von der Schnelligkeit, den freien Grenzen und davon, dass es an anderen Orten immer besser ist, als dort, wo man gerade ist.
Olga Tokarczuk beschreibt eines dieser Phänome als „Postpilgerei“ – früher sind die Menschen zu Wallfahrtsorten gepilgert, um die Besonderheit eines religiösen Erlebnisses zu erfahren, heute nehmen sie Strapazen auf sich und pilgern zu Kunstevents und Kunstwerken. Es handelt sich um ein ähnliches Phänomen – wer dabei ist, ist etwas Besonderes.
Der moderne Mensch ist ein Nomade
„Unrast“ ist ein Buch, das versuchen möchte, von der Welt ein Foto zu machen. Es handelt auch von der Angst der Menschen, sich wegzubewegen. Menschen sind sehr unruhig, aber diese permanente Unruhe bringt sie vorwärts. Einer sitzt im Flieger, der andere im Zug – Olga Tokarczuk fragt sich nach der Motivation, die hinter diesem „Weggehen“ steckt.
Ob sie sich selbst auch als Nomadin fühlt? „Ein wenig ja. Schriftstellerin ist gleich Nomadin, so etwas wie eine Handelsreisende der Literatur.“ Olga sieht die Literaturwelt ohne Kontakt mit den Lesern als schwierig. Sie ist von Natur aus gerne in Bewegung, da nützt sie einfach die Möglichkeiten ihres Berufes.
Kann eine Nomadin – ich erinnere mich an die deutsche Autorin Juli Zeh, die 2005 in Krems mit zwei Hunden, einer Katze und ihrem Freund angereist kam – eine gute Besitzerin von Haustieren sein?
Olga Tokarczuk hat auch zwei Hunde, die kommen dann, wenn sie unterwegs ist, in die Obhut ihres Sohnes oder ihres Schwiegervaters. So gesehen sind die Hunde auch ein wenig Nomaden.
„Krems ist Konkurrenz zu meiner Arbeit”
Krems empfindet die in Wroclaw (Breslau) wohnende Autorin als schöne, ruhige Stadt, die vor allem durch ihre wunderbar renovierte Altstadt und ihre Architektur beeindruckt, wie auch durch das reichhaltige kulturelle Angebot. „Die Kultur hier“, mein Olga, „ist Konkurrenz zu meiner Arbeit. Wir müssen im Sommer als Touristen wieder kommen!“ sind sich Olga und ihr Mann Grzegorz einig.
Dann, wenn alles blüht – die Wachau hatten sie vorher nicht gekannt, sie in den letzten zwei Wochen gleichsam entdeckt – und sie nicht arbeiten müssen. Olga arbeitet hart, doch der wunderbare Riesling aus der Region macht die Arbeit leichter!
Polen ist anders – über ein Klischee
Dass seine Einwohner sehr katholisch sind, ist eines der Klischees zu Polen, meint Tokarczuk. Das hängt vermutlich mit dem aus Polen stammenden Papst Johannes Paul II. zusammen, der von 1978 bis 2005 das oberste Kirchenamt innehatte.
Zur Frage, ob sich nach dem Tod des Papstes etwas in der Art des Katholizismus in Polen geändert hat, meint Olga Tokarczuk, dass zu Lebzeiten von Karol Wojtyla die katholische Kirche unter einen besonderen Schutz gestellt gewesen sei, danach allerdings zunehmend Kritik laut wurde.
Und das nicht nur wegen der Missbrauchsfälle, sondern vor allem wegen des materiellen Status der Kirche, der von immer mehr Polen als ungerecht empfunden würde. Der polnische Katholizismus basiert ihrer Ansicht nach in besonderer Weise auf volkstümlichem Verständnis und Ritualen.
„Der Gesang der Fledermäuse“
Olga Tokarczuk ist froh, dass sie diese spannenden Jahre miterleben darf, denn es sind große Umwälzungen in Sicht. „Vielleicht“, meint sie, „ist das, was dann entsteht, etwas für einen kleineren Kreis von Menschen, aber effektiver, authentischer, tiefer verwurzelt, gründlicher.“
In ihren Büchern kommt dieses Thema allerdings eher nicht vor. Olga schreibt mehr über Randerscheinungen als über den Mainstream. So auch in ihrem letzten Buch „Der Gesang der Fledermäuse“, in dem die Protagonistin eine schrullige Dorflehrerin ist, die zwei Leidenschaften hat: Astrologie und Tiere.
Gleich gut wie Umberto Eco und Márquez?
Dieser Roman wurde als „Heimat- und Aussteigerroman, Krimi, Persiflage und zivilisationskritisches Pamphlet in einem“ gesehen. Vergleiche mit Umberto Eco und Gabriel Garcia Márquez sind gefallen. Olga findet den Vergleich mit Márquez angenehm und peinlich zugleich.
Angenehm, weil es eine Ehre ist, und peinlich, weil sie es für übertrieben hält. Generell seien solche Vergleiche eher denen nützlich, die sie ziehen, als ihr selbst. „Wenn man sich die Welt der Literatur als Landkarte vorstellt, dann dienen solche Vergleiche vor allem dem Leser zur Orientierung.“
Arbeit am Drehbuch zum Roman – derzeit in Krems
In Krems arbeitet Olga Tokarczuk am Drehbuch für die Verfilmung von „Der Gesang der Fledermäuse“. Regisseurin ist Agnieszka Holland, deren jüngster Film „In Darkness“ für den Oscar nominiert war. Olga ist sehr enthusiastisch wegen dieses Projekts, räumt aber auch ein, dass Drehbuchschreiben viel schwieriger ist als Romanschreiben.
Ende Mai muss sie die Erstversion des Drehbuchs abliefern – vielleicht gibt es dann ja ein paar Tage Urlaub in der Wachau als Belohnung für die harte Arbeit!
Olga Tokarczuk wurde 1962 geboren, studierte in Warschau Psychologie und ist freie Schriftstellerin. Ihre Bücher wurden vielfach ausgezeichnet. Auf Deutsch erschienen bisher die Romane „Ur und andere Zeiten“, „Taghaus, Nachthaus“ und „Letzte Geschichten“ sowie die Erzählbände „Der Schrank“, „Spiel auf vielen Trommeln“ und „Anna in den Katakomben“.
Zuletzt erschienen bei Schöffling & Co. die beiden Romane „Unrast“ (2009) und „Der Gesang der Fledermäuse“ (2011).
Für „Unrast“ wurde Olga Tokarczuk 2008 mit dem Nike-Literaturpreis ausgezeichnet. „Der Gesang der Fledermäuse“ ist als deutsch-polnische Koproduktion zur Verfilmung vorgesehen (Regie: Agnieszka Holland).
Dienstag, 27. März 2012
Beginn: 19 Uhr
Ort: Buchkontor
1150 Wien, Kriemhildplatz 1
Eintritt frei
weitere Infos unter:
www.ulnoe.at und www.buchkontor.at
sonstige Fotos: © siehe Einzelfotos