In ihren Büchern geht es oft um Außenseiter, um Figuren am Abgrund der Gesellschaft. Suzana Tratnik – die slowenische Autorin war letzten Juli Gast des Literaturhaus NÖ in Krems – hält deren Geschichten für die interessantesten. Warum kriegen es manche Leute nicht auf die Reihe und warum bleiben sie am Rande der Gesellschaft?
Die Mehrheit kämpft ums nackte Überleben
Tratnik ist der Ansicht, dass die Mehrheit der Weltbevölkerung ums nackte Überleben kämpft. So gesehen sind diese Menschen eigentlich die Hauptfiguren, jedenfalls für Suzana Tratnik. Sie selbst fühlt sich auch keiner Mitte zugehörig. Sie kommt aus einer Arbeiterfamilie, da war von Studieren oder Schriftstellerin werden überhaupt keine Rede.
„Farbfernsehen und Sterben“
In ihrer Kindheit war für Tratnik Österreich eines der fremden Länder, das sie oft besucht hat. Fast jede Woche wurde nach Graz oder Bad Radkersburg gefahren, um einzukaufen. „Es gab da drüben viele Dinge, die wir haben wollten und in Jugoslawien nicht hatten. Wir kauften unter anderem Platten und Jeans!“
Ein einschneidendes Erlebnis ihrer Kindheit war auch der erste Farbfernseher. Da gibt es die Erzählung „Der Color-Fernseher“ im Band „Farbfernsehen und Sterben“, in der dieses Ereignis literarisch festgehalten wird. Da ihre Familie außer zum Einkaufen nach Österreich nirgendwohin fuhr, geschweige denn Urlaube am Meer verbrachte, wurde der Fernseher für sie zum „Fenster zur Welt“.
Fernsehen hält sie immer noch für sehr wichtig, als Basis neuer Medien. „Auch wenn sich diese verändert haben, sind wir immer noch die Zuseher, wir schauen Internetfernsehen, rufen Nachrichten über Mobiltelephone ab und so weiter.“
„Damian“ – Einblicke ins Lesben-Schwulen-Milieu
Der 2005 erschienene großartige Roman „Mein Name ist Damian“ spielt phasenweise im Lesben-Schwulen-Milieu und ist laut Autorin „hart an der Realität“. Die Situation der Lesben und Schwulen in Slowenien hat sich Mitte der Achtziger Jahre zu verbessern begonnen, also in der Blütezeit der neuen sozialen Bewegungen, in der auch die Feministenbewegung, die Friedensbewegung und die Alternativ- und Punkkultur stark und lebendig waren. Seit der slowenischen Unabhängigkeit hat sich da, wie die Autorin meint, nicht mehr viel geändert.
Freiheit ist die Freiheit der Reichen
Bezüglich der nach der Unabhängigkeit Sloweniens im Jahre 1991 oft propagierten Freiheit fragt sich Suzana Tratnik, was denn diese Freiheit genau ist, für wen sie gedacht ist und wem sie zusteht? Vielleicht einer kleinen Gruppe reicher Leute und mächtiger Politiker? Der Großteil der Bevölkerung muß aufgrund der Wirtschaftskrise enorm sparen. Und wie in den meisten postkommunistischen Ländern ist auch in Slowenien Redefreiheit gleichbedeutend mit weitverbreiteten Hasstiraden, die kaum in den Griff zu bekommen sind.
„Vielleicht ist Freiheit Teil meiner Arbeit, in einem sehr symbolischen Sinn gesehen. Vielleicht geht es mehr um das Fühlen einer inneren Freiheit, ein Gefühl, das sein zu können, was man ist, ohne die Lebensqualität oder das Leben selbst zu gefährden.“
„Das Reservat“ – die Ghettos durch Kultur, Gewalt und Armut
In Krems hat sie ihre jüngste Kurzgeschichtensammlung abgeschlossen, die „Rezervat“ („Das Reservat“) heißen wird. In diesem Buch versucht die Autorin Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den verschiedenen Formen von „Reservaten“ zu finden. Ein Reservat kann physisch erzwungen werden, so wie die Indianerreservate in den USA, aber auch kulturell oder geistig sein oder einfach aufgrund der Tatsache entstehen, dass jemand in ärmlichen Verhältnissen lebt. Die geistige Welt eines Kindes wird so sehr von anderen kontrolliert, dass sie in logischer Folge auch zu einer Art Reservat wird.
„In manchen Geschichten beschreibe ich auch eine Form sozialer Isolation bzw. Ghetto, wo Menschen hinein geraten können, die Opfer von Gewalt geworden sind – dazu gehören auch Kriegsopfer und Flüchtlinge – oder Menschen, die einen anderen Lebensstil gewählt haben, wie Schwule oder Lesben. Aber ich sehe ‘Reservat’ durchaus auch als positiven Begriff, als Ort, an dem jemand authentisch und in Sicherheit leben kann.“
Arbeit am Drehbuch zu Damian in Krems
Suzana Tratnik hat in Krems auch das Drehbuch für den Film über Damian überarbeitet, der – wie die Autorin hofft – bald gedreht werden wird. Daneben hat sie versucht, Ideen für ihren neuen Roman zu sammeln. Sie hat zwar schon vor längerer Zeit ein paar Kapitel geschrieben, aber die richtige Arbeit fängt erst an.
Zurück im Alltagsleben wird es nicht so einfach sein zu schreiben und in Ruhe zu denken, so gesehen war Krems für sie ein ideales „Kunstreservat“, wo sie ohne Ablenkungen arbeiten konnte.
Buchcover Tratnik Farbfernsehen und Sterben: © Verlag Zaglossus
Buchcover Tratnik Damian: © Milena Verlag, Wien
Foto Tratnik Artikelende: zVg Wolfgang Kühn