Vizekanzler a.D. Josef Riegler fordert einen europäischen Bundesstaat, um Europa „angesichts der neu entstehenden globalen Machtzentren und dem aggressiven Agieren der Finanzmärkte“ wieder handlungsfähig zu machen. Am Donnerstag voriger Woche sprach Riegler dazu in der Diplomatischen Akademie in Wien bei einer Veranstaltung des Club NÖ. Der Vortrag wurde vom Auditorium „begeistert aufgenommen“, heißt es dazu in der Presseaussendung des Club NÖ.
Europäischer Bundesstaat, weil Lissabon-Vertrag ungenügend
Die Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise in Europa und der EU-Krisengipfel im Dezember machten deutlich, so Riegler, dass die derzeit geltenden Lissabon-Verträge für die EU kein angemessenes Regelwerk darstellten. Auch nicht die bilateral orientierte Notlösung, die Deutschland und Frankreich aktuell durchgesetzt hätten. Daher sollte ein europäischer Bundesstaat geschaffen werden, eine europäische Republik mit klassischer Gewaltentrennung, in der Form etwa, wie das die Initiative „Nova Europa“ seit 2003 vorschlage.
Währungsunion durch Fiskalunion ergänzen – demokratische Wirtschaftsregierung einsetzen
Die Währungsunion müsse, so Riegler, noch in diesem Jahr 2012 durch eine Fiskalunion ergänzt werden. „Daher wird vorgeschlagen, dass die Eurostaaten einen Vertrag über die Gründung einer Europäischen Förderation schließen mit dem Ziel der Bildung einer Wirtschaftsregierung.“
Diese sollte unter demokratischer Kontrolle eines Zweikammern-Parlaments stehen: einer Parlamentskammer, gewählt von den EU-Bürgern, und einer Staatenkammer, nach dem Modell des föderalen Bundesrats in Deutschland.
Der Förderation sollten alle Euro-Staaten angehören, umgekehrt alle aus der Währungsunion ausscheiden, die der Föderation nicht angehören wollen. In der Wirtschaftsregierung sollten Deutschland und Frankreich fix vertreten sein; zusätzlich noch ein dritter Regierungschef eines weiteren Euro-Staates; darüber hinaus vier Fachminister, die von der Staatenkammer ernannt werden.
Neue Verfassung für Europäische Republik mit gewähltem Staatspräsidenten
Die vorgeschlagene Europäische Förderation sei als befristete Übergangslösung zu verstehen. In der Zwischenzeit sollte ein Konvent die Verfassung für eine Europäische Republik erarbeiten, die einen gewählten Präsidenten an der Spitze vorsieht.
„Europa hat das Potenzial, aus der Krise gestärkt hervorzugehen und eine gestaltende Kraft im Konzert der Weltmächte zu werden“, betonte Riegler. Es solle daher nicht „am Flickwerk des Lissabon-Vertrags weitergeflickt, sondern der Boden für ein entscheidungsfähiges, demokratisches und starkes Europa bereitet“ werden.