„Anders ist viel besser“, sagt Markus Hengstschläger, der bekannte Humangenetiker an der Uni Wien und „Radiodoktor” von Ö1 . Sein neues Buch „Die Durchschnittsfalle“ ist ein Plädoyer für Individualismus. Die Botschaft an Eltern: jedes Kind als besonders wertvolles Individuum zu begreifen. Als talentierten Menschen. Nicht weniger talentiert als eine berühmte Opernsängerin oder ein Weltklassefußballer.
Was heißt schon talentiert?
Wer kann heute schon sagen, welche Talente uns morgen helfen werden, in unserer Welt zu bestehen? Wo wir doch heute nicht einmal ahnen, welche Probleme wir demnächst zu lösen haben werden. Dem herrschenden Bildungssystem erteilt er eine Abfuhr. Dafür ermutigt er jene, die bisher überall angeeckt sind, weil sie nicht in ein vorgegebenes Schema passen. „Es muss zur Norm werden, von der Norm abzuweichen“, fordert der Wissenschaftler.
Sex ist besser als Klonen
Eltern können sich also gelassen zurücklehnen: Kinder müssen anders sein als ihre Eltern. Und das ist gut so. Bei asexueller Vermehrung, wie es etwa bei Bakterien der Fall ist, enthalten alle Nachkommen das Erbgut ihrer Erzeuger. Der Spielraum für Neues durch Mutationen ist dabei gering. Bei der sexuellen Fortpflanzung entsteht stets ein völlig neues Individuum. Durch das Vermischen von mütterlichem und väterlichem Erbgut und einer Prise Zufall sind alle Nachkommen verschieden. Und ganz bestimmt anders als die vorherige Generation.
Leistungsgesellschaft oder Selbstverwirklichungsidioten?
„Die Gene sind Bleistift und Papier. Die Geschichte schreiben wir selbst.“, so bringt es Hengstschläger auf den Punkt. Die Talente sind die Chancen, die wir mitbekommen. Aber Fleiß, Ausdauer und Disziplin müssen wir schon selber beisteuern, um nachhaltig Erfolg zu haben.
Der Durchschnitt ist ungerecht
Der Durchschnitt ist ungerecht, weil er keinem Individuum wirklich entspricht. Täglich werden Millionen Talente verschwendet, weil man sich nur mit der Reproduktion von Bekanntem beschäftigt. Das kreative Schaffen von neuem muss in den Vordergrund rücken.
Schwarz, weiß oder bunt?
Warum fürchten Menschen, anders als die anderen zu sein? Was ist normal? Wer bestimmt das? Viele haben einfach nur Angst vor dem Auffallen. Wenn alle verschieden sind, fällt keiner mehr auf. Markus Hengstschläger beschreibt seine wissenschaftlich fundierten Erkenntnisse mit Hilfe von eindrucksvollen Beispielen. Erstaunlich etwa, warum ein schwarzer Schmetterling auf der Birkenrinde einen Überlebensvorteil haben kann. Oder warum es Sinn macht, dass es zehntausend verschiedene Schneckenarten auf der Welt gibt. Oder wie Migration mit Evolution zusammenhängt.
Ein Buch besonders für Frauen
Bei der Debatte um die Reform des Bildungswesens sieht man fast nur Männer in den Diskussionsrunden. In den Familien sind es jedoch meist die Frauen, die sich um Bildungsfragen kümmern. Eltern und Großeltern werden mit diesem Buch Bestätigung für das finden, was sie selbst schon immer wussten. Für Lehrer und politische Entscheidungsträger sollte dieses Buch Pflichtlektüre sein. Es geht nicht um den Schultyp an sich. Es geht um die Förderung von Individualität. Denn nur Individualisten werden in der Zukunft fähig sein, Antworten auf unvorhersehbare Fragen zu finden.
Der Autor:
Markus Hengstschläger war mit 16 Jahren Punk, mit 24 promovierte er zum Doktor der Genetik. 35-jährig wurde er zum jüngsten Universitätsprofessor für Medizinische Genetik berufen. Heute ist er vielfach ausgezeichneter Wissenschaftler und Vorstand der Abteilung für Medizinische Genetik an der Medizinischen Universität Wien. Seine Gabe, komplizierte Inhalte einfach und anschaulich darzustellen, machte ihn zum Bestsellerautor und beliebten Gastredner in Rundfunk und Fernsehen.
magzin-Literaturtipp:
Markus Hengstschläger: Die Durchschnittsfalle. Gene-Talente-Chancen.
Verlag Ecowin 2012. 21,90 Euro. ISBN 978-3-7110-0022-4