Literaturgast im ULNÖ-Atelier: Michal Habaj, Lyriker aus der Slowakei

Er residiert in Top 22 des einstigen Eybl-Gebäudes in Krems. Und findet hier viel Muße für neue Gedichte. Wolfgang Kühn sprach mit dem Lyriker über Literatur, Krems und Österreich.
Michal Habaj - Foto von M. Strauch
Michal Habaj ist Gast im Künstleratelier des Literaturhaus NÖ in Krems. (Foto: © M. Strauch)

von Wolfgang Kühn

Seit Oktober 2000 bespielt das Unabhängige Literaturhaus NÖ (ULNÖ) in Krems ein vom Land NÖ zur Verfügung gestelltes KünstlerInnen-Atelier vor allem mit Gästen ost- und südost­europäischer Provenienz (Artist – In-Residence – Programm AIR). Im August residiert als mittlerweile 107. Gast in TOP 22 der 1974 in Bratislava geborene slowakische Lyriker Michal Habaj in der modern eingerichteten 45 m² Wohnung im 3. Stock des ehemaligen Eybl-Gebäudes.

Zufrieden in Krems – „alles friedlich und ruhig“

In Krems, wo er sich an den idealen Arbeitsbedingungen erfreut, genießt er von seinem Schreibtisch aus den Blick auf die Donau und die dahinterliegenden Hügel – „alles ist friedlich und ruhig“, meint er offensichtlich zufrieden im Interview. Habaj feilt in der Wachau an der Endfassung eines neuen Gedichtbandes, der im Herbst im slowakischen Verlag „Ars Poetica“ erscheinen soll.

Mit den anderen Künstlerinnen und Künstlern aus den Sparten Bildende Kunst, Musik und Architektur, die ebenfalls im Dachgeschoss der ehemaligen Teppichfabrik logieren, hat er wenig Kontakt. „Es sind alles nette und freundliche Menschen, aber ich versuche, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren und mich nicht ablenken zu lassen!“

Zurückversetzt in alte Zeiten – noch etwas Glanz der Monarchie

Die Stadt Krems mag er sehr. Malerische Gassen, Kirchen, historische Gebäude, friedliche Atmosphäre, eingebettet in Weingärten, ruhig, nicht viele Menschen. Michal Habaj schätzt die Konditoreien und die kleinen Cafés, in denen sich die Einheimischen, oft ältere Frauen und Männer, tagsüber auf ein Glas Wein, einen Kaffee, ein Stück Mehlspeise treffen oder einfach nur Zeitung lesen. Er fühlt sich in längst vergangene Zeiten zurückversetzt, spürt den verlorenen Glanz der Monarchie, etwas was man in Bratislava nicht mehr findet.

Michal Habaj - Foto Lehotsky
Michal Habaj arbeitet beruflich am Institut für Slowakische Literatur in Bratislava. (Foto: © Juraj Lehotsky)

Inspiriert von Wien – die slowakische Literatur der Zwischenkriegszeit

Michal Habaj arbeitet am Institut für Slowakische Literatur in Bratislava. Er ist mit der Erforschung der slowakischen Literatur in der Zwischenkriegszeit beschäftigt, das Hauptaugenmerk seines Interesses gilt ästhetischen, philosophischen, psychologischen und politischen Bedeutungen und Zusammenhängen von Literatur und Kultur dieser Zeit in einem europäischen Kontext.

Es geht da unter anderem um slowakische Literatur, die in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts ihre Inspiration in Wien gefunden hat. Habaj nennt Namen wie Arthur Schnitzler, Peter Altenberg, Hugo von Hofmannsthal oder Karl Kraus, die auch zu seinen Lieblingsautoren zählen.

In der Slowakei lässt sich von Literatur nicht leben

Von der Literatur leben kann man in der Slowakei nicht. Die meisten Autoren haben Zivilberufe, die mit Literatur zu tun haben, wie Literaturzeitschriftenherausgeber, Verleger, Universitätsprofessoren, Wissenschaftler oder Übersetzer. Es gibt aber auch welche, die ihr Brot in ganz anderen Bereichen verdienen, wie in Werbeagenturen, bei Zeitungen oder gar im Showbusiness.

Seine Gedichtbände werden in einer Auflage von 500 Stück gedruckt. Damit komme er gut zehn bis fünfzehn Jahre aus, meint der Autor verschmitzt lächelnd …

Slowakei und Tschechien – ein großer Unterschied

Gefragt über das (literarische) Verhältnis zur Tschechischen Republik, meint Michal Habaj, dass da ein großer Unterschied zwischen den beiden Ländern besteht, nicht nur in der Literatur, sondern in der Kultur überhaupt. Bücher in tschechischer Sprache beispielsweise finden sich in slowakischen Buchläden, umgekehrt ist das aber nur in Ausnahmefällen so. Eine Rivalität sieht er dennoch nicht – beide nationalen Literaturen haben ihre eigene und unabhängige literarische Tradition.

Was Habaj an Österreichs Literatur schätzt

An Österreich mag Michal Habaj die Ausstellungen in Wien, Filme von Michael Haneke und Ulrich Seidl, den Umgang mit Umweltschutz, das Radfahren entlang der Donau und vieles mehr.

Was die Literatur angeht, so nimmt er die zeitgenössische österreichische kaum wahr. Neben den schon erwähnten Schriftstellern aus den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts, mit denen er im Zuge seiner Forschungsarbeit zu tun hat, mag er noch Thomas Bernhard und Ingeborg Bachmann sowie Georg Trakl, einen seiner Lieblingsdichter, dem er auch ein literarisches Denkmal gesetzt hat …

 

AUF TRAKLS SPUREN

der blasse Schatten einer Schwester …

… wie er aus durchscheinend zarten
Pflanzenkörpern strömt
Herbstmelancholie, Mädchengesichter
voller Angst vor dem Altern.

Lippen aufgespalten von einem Wort.
Für einen Gruß.
Einen Abschied.
Und unberührbar.

Hinter Mauern aus Fleisch und Knochengerüst
der Eckpfeiler Seele.
Du watest durchs Dunkel, die Schatten leuchten
dir den Weg aus.
Als du nach einer Pretiose greifst
verweigern Schatten dir den Atem.

Wir sitzen einander gegenüber:
der Fernseher und ich.
Unsere einsamen Gesichter fallen in die Nacht,
zerstört, mehr und mehr den Schatten gleichend.

(Wiedergabe des Gedichts mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors,
des Unabhängigen Literaturhaus NÖ www.ulnoe.at und der Übersetzerin, Silvia Treudl)

Der Autor des Artikels, Wolfgang Kühn, ist Mitbegründer und Mitbetreiber des Unabhängigen Literaturhaus NÖ.
weitere Infos unter: www.ulnoe.at