Mit einem Symposion hat die Donau-Universität Krems ihr neues „Zentrum für Europa und Globalisierung“ eröffnet. Das neue Zentrum wird Forschung und Lehre zu Zukunftsfragen der EU, Europa und Globalisierung, bündeln und intensivieren. „Wir brauchen Mutmacher und keine Angstmacher“, sagte in Hinsicht auf Europa der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Othmar Karas, dem beim Symposion die Ehrenprofessur der Donau-Universität Krems verliehen wurde.
EU-Themen beim Symposion: Von Hochschulraum bis Staatsverschuldung
Das Symposion zur Eröffnung des neuen Europa-Zentrums, das vor einer Woche stattfand, diskutierte aktuelle und brisante Fragen zur Situation der Europäischen Union. Themen war der Europäische Hochschulraum, Staatsverschuldung und EU-Krisenländer, europäische Fiskal- und Regionalpolitik, Mobilität und Weiterbildung in der EU sowie das Internet (Web 2.0) als Demokratisierungstechnologie.
Beim Symposion sprachen, neben Othmar Karas, Generalsekretär Friedrich Faulhammer vom Wissenschaftsministerium (der designierte Rektor der Donau-Universität Krems) sowie Karl-Heinz Koch vom Finanzministerium, Peter Mayerhofer vom WIFO und Univ.-Prof. Gudrun Biffl, Univ.-Prof. Monika Kil und Peter Parycek von der Donau-Universität Krems.
Im neuen „Zentrum für Europa und Globalisierung“, das Gudrun Biffl leiten wird, wird Othmar Karas als Dozent und im wissenschaftlichen Beirat tätig sein. Interdisziplinäre Forschungsprojekte sollen durchgeführt und neue Studiengänge angeboten werden. Bereits im Herbst startet der erste derartige Lehrgang: „Integrative Regionalentwicklung für Kommunen, Gemeinden und Regionen“.
Ehrenprofessur der Donau-Universität für Othmar Karas
In ihrer Laudatio zur Verleihung der Ehrenprofessur, vor Beginn des Symposions, hob Univ.-Prof. Gudrun Biffl das langjährige Engagement Othmar Karas für Europa und seine Tätigkeit für die Donau-Universität Krems hervor. „Othmar Karas ist ohne Zweifel ein durch intellektuelle Redlichkeit ausgezeichneter Vertreter eines rationalen Umgangs mit Europa und europäischer Politik“, sagte sie. Othmar Karas habe seit zehn Jahren seine Expertise mit großem Engagement in der Donau-Universität Krems eingebracht. „Dafür gebühre ihm Dank und Anerkennung.“
Karas: „Die EU als politische Union wieder neu begründen“
Ein klares Bekenntnis zur Europäischen Union und Vertiefung der europäischen Integration legte Othmar Karas, der Vizepräsident der Europäischen Parlaments, dann in seiner Rede zur Verleihung der Ehrenprofessur ab. „Die EU als politische Union, als Sprecher des Kontinents in der Welt, ist wieder neu zu begründen“, sagte er. Denn „Europa ist durch die Globalisierung und die aktuellen Krisen neuerlich herausgefordert, eine ‚Solidarität der Tat‘ zu schaffen“, erklärte Karas – mit einer Anspielung auf Worte des französischen Politikers und „Gründungsvaters“ der Europäischen Union Robert Schumann. „Die Staaten Europas sind als Antwort auf die Globalisierung politisch zu vereinen und dafür die Voraussetzungen zu schaffen“, so Karas.
Karas: Der globale Wettbewerb läuft zwischen Kontinenten
Der Wettbewerb würde künftig nicht mehr zwischen Nationen ausgetragen, sondern global zwischen Kontinenten. „Kein europäischer Staat kann auf diese Entwicklung alleine und nachhaltig erfolgreich Antwort geben. Kein einziger“, betonte Karas. Drei Fakten würden dies verdeutlichen: Erstens: Der Anteil der EU-Bevölkerung an der Weltbevölkerung werde von jetzt 7 auf unter 4 Prozent sinken.
Zweitens: Der Anteil der EU-Wirtschaftsleistung an der Weltwirtschaft werde von derzeit rund 20 auf unter 10 Prozent fallen. Drittens: Die Anzahl der EU-Staaten unter den führenden G8-Industrieländern werde von jetzt drei auf Null sinken. „Die politische Einigung oder Vereinigung der Staaten Europas sollte unsere Antwort auf diese Entwicklung sein“, so der Vizepräsident des Europäischen Parlaments, Othmar Karas.
„Wir benötigen Mutmacher, nicht Angstmacher“ – Europa braucht Diskussion und Forschung
Nationalismus, staatliche Egoismen und Re-Nationalisierung seien keine Lösung, sagte Karas weiters. „Die Globalisierung schreitet weiter voran. Wir Länder, Regionen und Menschen werden voneinander immer abhängiger. Was sind die Auswirkungen? Damit haben wir uns zu beschäftigen, nicht davor Angst zu machen.“ Unbedingt erforderlich sei eine offene Diskussion mit den Bürgern über Europa. „Zeigen wir die Vor- und Nachteile. Reden wir mit den Bürgerinnen und Bürgern offen und ehrlich. Zeigen wir die Chancen und Risiken“, betonte Karas.
Unbedingt erforderlich sei aber auch eine intensive wissenschaftliche Forschung zu den Fragen Europa und Globalisierung, wie es das neue Europa-Zentrum an der Donau-Universität Krems umsetzen will. „Wir benötigen Mutmacher, nicht Angstmacher. Wir benötigen Universitäten und Wissenschafter, die bewusst machen, hinterfragen, sich auseinandersetzen“ und für die weitere EU-Integration „wissenschaftliche fundierte Lösungsansätze und Handlungsanweisungen zur Diskussion stellen“.
Innovation, Bildung und gelebte europäische Werte – der Trumpf der Zukunft
Aber auch noch allgemeiner machte Othmar Karas den großen Stellenwert von Innovation und Wissenschaften für die Zukunft deutlich: „Europa wird die entstandenen Wettbewerbsnachteile nicht über niedrigere Preise, nicht über geringere Sozial- und Umweltstandards erobern, sondern nur über Qualität, Bildung, Innovationskraft, Schnelligkeit, Zusammenhalt, Flexiblität, Forschung und Entwicklung und das gelebte Bekenntnis der gemeinsamen europäischen Werte.“
Peter Mayerhofer (WIFO): EU-Kohäsionspolitik als Schlüssel der Krisenbewältigung
Auf die Rede Othmar Karas folgte das Symposion zur Eröffnung des neuen Europa-Zentrums mit einer hochinteressanten, aufschlußreichen Podiumsdiskussion. In der EU-Finanzperiode 2007-2013 stehen und standen, erinnerte dabei Peter Mayerhofer vom WIFO, 347 Mrd. Euro im EU-Strukturfonds für Regionalpolitik zur Verfügung. Die EU-Regional- bzw. Kohäsionspolitik sei daher von großer Wichtigkeit und könnte ein entscheidender Schlüssel zur Bewältigung der Krise in den Euro-Ländern sein, betonte er.
Die Staatschuldenkrise, erklärte dazu Mayerhofer, bedeute nicht einfach, dass einige Staaten über ihre Verhältnisse gelebt hätten und jetzt sparen müssten. Die Krise sei vielmehr „vor allem Ausdruck massiver makroökonomischer Ungleichgewichte“ der Länder der europäischen Währungsunion, und zwar aufgrund „tiefgreifender Unterschiede in der Produktivität ihrer Wirtschaft“.
Gezieltes Investieren, um Produktivität in EU-Krisenländern zu heben – Wachstumsförderung durch EU-Regionalpolitik
Eine effektive Lösung der Krise könne daher mittelfristig nur eben dort ansetzen – bei der Produktivität der Wirtschaft der Krisenländer. Genau das sei der Zweck der EU-Kohäsionspolitik mit den Fördermitteln des EU-Strukturfonds. „Ich meine“, so Mayerhofer, „dass die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der Krisenländer vor allem durch Fortschritte in ihrer Produktivitätsentwicklung möglich ist. Die EU-Kohäsionspolitik ist der einzige Mechanismus zum Abbau dieser Unterschiede.“
Entscheidend sei, den EU-Strukturfonds gezielt auszurichten „im Sinne einer strategischen Investitionspolitik mit dem Ziel der Produktivitätssteigerung in den Krisenländern“. Der neue EU-Strukturfonds 2014-2020 (mit vorgesehenen 336 Mrd. Euro) könnte in diesem Sinne „ein machtvoller Hebel zur Krisenbewältigung“ werden, so Mayerhofer. Und jene wachstumsfördernde „aktive Komponente“ darstellen, die – neben der notwendigen Budgetkonsolidierung – bereits von vielen „zu Recht gefordert“ werde. Auch das WIFO wird in das neue Zentrum für Europa und Globalisierung eingebunden sein.
Karl-Heinz Koch (BMF): Finanzmarktanalyse langfristig sehen
Karl-Heinz Koch vom Bundesfinanzministerium betonte in seinem Symposionsbeitrag, dass „in der Finanzmarktanalyse langfristig gedacht“ werden müsse. Auch die Staatsschuldenkrise in Griechenland sei „eine Entwicklung, die umkehrbar ist“. Wie andere Krisenstaaten in früheren Jahrzehnten gezeigt hätten. Allerdings seien in Griechenland noch verstärkte Anpassungsmaßnahmen notwendig. „Das schmerzt, das ist keine Frage.“ Ziel müsse sein, eine Verschuldensquote in allen EU-Ländern zu erreichen, bei der die Zinssätze für Refinanzierungen auf dem Kapitalmarkt für alle EU-Länder ein „verkraftbares Maß“ haben.
Friedrich Faulhammer (BMWF): Bologna-Prozess – der Europäische Hochschulraum
Der „Europäische Hochschulraum“ lautete das Thema von Friedrich Faulhammer, Generalsekretär des Bundeswissenschaftsministeriums und designierter Rektor der Donau-Universität Krems. Mit der Bologna-Deklaration, erinnerte er, hätten sich 29 europäische Staaten im Jahr 1999 auf den Weg gemacht, einen europäischen Hochschulraum zu bilden. Inzwischen seien 47 Staaten beteiligt – alle Staaten im Europarat. „Es findet hier ein sehr intensiver und sehr reger Austausch statt.“
Da die EU keine eigene, direkte Zuständigkeit für Bildung und Hochschulen habe, sei der Bologna-Prozess ein freiwilliger Prozess der beteiligten Länder, der mit „bemerkenswerter Geschwindigkeit“ vorangekommen sei. Durch einen sehr positiv motivierten „Wettbewerb“ der Bologna-Staaten „sei es gelungen, den europäischen Hochschulraum in den wesentlichen Grundzügen innerhalb von nur zehn Jahren umzusetzen“.
Europas Hochschulbildung international erkennbar machen
Das neue Studiensystem im Zuge des Bologna-Prozesses – mit den Bachelor- und Master-Programmen – habe die Ziele Förderung von Mobilität, Beschäftigungsfähigkeit und internationaler Wettbewerbsfähigkeit und habe mehr Transparenz und Anerkennung von Qualifikationen gebracht. Sein Ziel sei aber auch, so Faulhammer, „Europa als Europa der Bildung und Hochschulbildung international stärker erkennbar zu machen“.
Auch die Einwände gegen den Bologna-Prozess – die Proteste vor allem Studierender im Jahr 2010 gegen Verschulung und Einschränkung des freien Studierens durch den Bologna-Prozess – sprach Friedrich Faulhammer an. Die Proteste hätten „etwas gezeigt, was für die Zukunft des Europäischen Hochschulraums zentral ist“, sagte Faulhammer: „Es darf kein Prozess sein, der den Hochschulen übergestülpt wird, sondern ein Prozess, der gemeinsam getragen wird – von den Studierenden, den Lehrenden und den Hochschuleinrichtungen“.
Österreich benötigt mehr Grundlagenforschung
„Unsere Beobachtung ist, dass viel zu wenig Geld in der Grundlagenforschung zur Verfügung steht“, sagte Friedrich Faulhammer bei der weiteren Diskussion im Symposion. Zwar habe Österreich eine Forschungsquote von über 2,8 Prozent (des BIP). Der Großteil der Ausgaben gehe aber in anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung. Auch die EU-Forschungsrahmenprogramme seien in erster Linie anwendungsorientiert, also nicht zur Finanzierung von Grundlagenforschung. Das müsse sich ändern. „Wir bemühen uns im Moment“, sagte Faulhammer, „den Grundlagenforschungsanteil massiv zu steigern, damit hier Österreich entsprechend aufholen kann.“
Gudrun Biffl (DUK): Erstaunlich geringe Mobilität in der EU
Zum Thema „Mobilität“ in Europa sprach Univ.-Prof. Gudrun Biffl, die das neue Zentrum Europa und Globalisierung leiten wird. Trotz des Grundrechts der Freizügigkeit in der EU sei die Mobilität (der Arbeits- und Wohnortswechsel in ein anderes EU-Land) überraschend gering, betonte sie. Im Durchschnitt nur 2 bis 3 Prozent der EU-Bevölkerung lebten und arbeiteten in einem anderen EU-Land als dem eigenen.
Nur in wenigen EU-Staaten liege dieser Anteil höher. Unter anderem in Österreich mit 4,5 Prozent, wobei dies in Österreich überwiegend EU-Bürger aus Deutschland sind. Sprach- und Kulturnähe prägten bisher die geringe EU-Mobilität.
„Wenn wir nicht in der Lage sind, die Mobilität von qualifizierten Menschen innerhalb Europas voranzutreiben, dann werden die Menschen woanders hingehen“, hob Gudrun Biffl als Grundproblem hervor. Die „Kosten“ der Mobilität in Europa seien zu hoch, daher müssten neue Lösungen entwickelt und auch die Arbeitsmärkte genauer analysiert werden. Auch das sei eine Aufgabe der DUK und ihres neuen Europa-Zentrums.
Mehr Mobiliät: Eine Chance auch für die Jugend der Krisenländer mit hoher Arbeitslosigkeit
Auch im Bereich der Wissenschaften müsse, so Biffl, nachgedacht werden, „wie Forschung auf EU-Ebene in einem europäischen Zusammenhang organisiert wird, damit Forscher und Forscherinnen in Europa bleiben und nicht weggehen“.
Überdies gehe es bei der Frage der Mobilität nicht nur um die Stärkung der Innovationskraft und der Wirtschaftskraft der EU-Staaten, sondern auch um soziale Gestaltung. Wenn die Vorarlberger Industrie derzeit in Kooperation mit EURES (der EU-Arbeitsagentur) junge Fachkräfte aus Spanien anwirbt, bedeute das nicht, fragte Biffl, jungen Spaniern eine Perspektive und Spanien ein klein wenig Atempause im Anpassungsprozess zu geben? Und somit letztlich auch eine Schwächung der Demokratie zu vermeiden?
Beim Symposion sprachen außerdem Peter Parycek über die erfolgreiche Arbeit der Donau-Universität Krems im Bereich Internet, E-Government und Demokratisierung durch das Web 2.0. Und Univ.-Prof. Monika Kil über Weiterbildung und europäische Projekte Lebensbegleitenden Lernens an der Donau-Universität Krems, die als Universität für Weiterbildung diesen ihren besonderen Kompetenzbereich „Weiterbildung“ auch in Hinsicht auf Europa-Themen weiter ausbauen will.
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