Der kroatische Schriftsteller Edo Popović hat Krems in guter Erinnerung, er hat hier schon einmal ein wunderbaren Monat verbracht und einen guten Teil seines Romans „Der Aufstand der Ungenießbaren“ geschrieben. „Für mich“, meint Popović, „ist Krems wirklich ein guter Ort, um zu schreiben.“
„Der Aufstand der Ungenießbaren“ – eine „groteske” Vision des Jahres 2020
Besagter Roman erscheint im Herbst auf Deutsch im Luchterhand Verlag und hat auch lokalen Bezug. Einige Kapitel sind in Krems angesiedelt und Edo erwähnt in seinem Roman, nicht ohne Hintergedanken, die Gefangenschaft von Richard Löwenherz in Dürnstein.
Der Roman hat drei Erzählstränge, von denen einer das Jahr 2020 thematisiert. In diesem Jahr werden aus marktökonomischen Überlegungen alle Institutionen, die keinen Profit abwerfen, wie etwa öffentliche Schulen, Kindergärten, Universitäten, Büchereien, usw. geschlossen. Darunter fällt auch das öffentliche Gefängnis.
Popovic‘ Utopie von Krems: Museum für Verbrechen statt Gefängnis in Stein
Die Eventindustrie im Jahr 2020 konzentriert sich auf Verbrechen und Verbrecher. Der Protagonist des Romans ist Mitglied einer Terrororganisation, die Bankiers, Vorstandsdirektoren, generell Mitglieder der neoliberalen Elite kidnappt und umbringt.
Die Suche nach seinen früheren Freunden verschlägt ihn nach Krems. Das Gefängnis in Stein musste in der Zwischenzeit einem Museum für Verbrechen weichen, das wie Dürnstein von Touristenhorden heimgesucht wird. Den Stadtpark von Krems ziert eine Josef Fritzl Statue.
Ein Aktivisten-Roman – fleißig bei Strategien und Methoden
Zu Edo Popovićs Überraschung wurde das Buch in Kroatien sehr positiv aufgenommen. „Der Roman weicht stark von dem ab, was ich bisher geschrieben habe, deshalb war ich mir nicht sicher, ob die Leser und Kritiker ihn auch annehmen würden. Ich schrecke nicht davor zurück, verschiedene unorthodoxe Methoden und Strategien anzuwenden, die mir helfen, mich auszudrücken und mit dem Leser zu kommunizieren”, sagt Popovic.
„In »Der Aufstand der Ungenießbaren« zitiere ich aus der Theoretischen Physik, aus Landesverfassungen, aus Zen Koanen, aus Lyrik, Prosa, Gerichtsurteilen, wissenschaftlichen Texten, aus der Geschichte – ich ziehe verschiedene Register, poetische genauso wie journalistische, ich erfinde Spiele, lege selbst die Regeln fest, ich habe sogar ein Kapitel über häufig gestellte Fragen eingefügt, und das alles auf weniger als 130 Seiten. Literaturkritiker haben es einen Aktivisten-Roman genannt. Dagegen kann ich nichts einwenden.“
„Tattoogeschichten“ – die unter die Haut gehen
Sein zuletzt (2011) auf Deutsch erschienenes Buch nennt sich „Tattoogeschichten“. Der Titel wurde deshalb gewählt, weil die Geschichten beim Lesen derart unter die Haut gehen, dass man sie später nicht mehr entfernen kann, auch nicht durch Hauttransplantation. „Die einzige Möglichkeit, sie zu entfernen“, versichert Edo Popović glaubhaft, „ist mittels Lobotomie“.
Die Geschichten und Gedichte wurden vom kroatischen Untergrundkünstler Igor Hofbauer illustriert. „Wir haben viel darüber diskutiert, wie das geschehen soll und es war eine sehr aufregende Erfahrung“, schwelgt Edo in Erinnerungen. „Wir haben an diesem Werk ein Jahr lang gearbeitet!“
Heimatland Kroatien: „Wir sind die europäischen Geisterfahrer!“
„Wir sind eine ziemlich irrationale Nation!“, antwortet Popovic auf die Frage, ob sein Heimatland Kroatien der EU beitreten soll. „Wir gehen immer dorthin, wo die anderen nicht hinwollen, wir gehen immer in die entgegengesetzte Richtung. Wir sind die europäischen Geisterfahrer!“ Edo Popović glaubt, dass die EU alles vermasselt hat, weil sie Kroatien als Beitrittsland akzeptiert.
„Wir sind ein bösartiger Virus, in neunzig Jahren haben wir vier politische Gebilde zerstört – die k.u.k. Monarchie, das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, das Königreich Jugoslawien und die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien. Und jetzt ist die EU dran!“
Popovic‘ neuestes Werk in Krems
Aktuell in Krems schreibt er an einem Buch über Reportagen. Er verwendet als Matrix sechs Reportagen aus den Zwanzigerjahren, die vom kroatischen Wissenschaftler und Reisenden Miroslav Hirtz verfasst wurden. Er ist mit seinen Freunden damals durch den Velebit, den größten und schönsten Gebirgszug Kroatiens gereist. „Fast achtzig Jahre später bin auf dieselbe Art und Weise wie er gereist und habe ebenfalls darüber geschrieben. Auch das war eine sehr aufregende Erfahrung!“
Edo Popović, geboren 1957, lebt in Zagreb. Er war Mitbegründer einer der einflussreichsten Underground-Literaturzeitschriften des ehemaligen Jugoslawiens, sein erster Roman „Ponoćni boogie“ („Mitternachtsboogie“, 1987) wurde zum Kultbuch seiner Generation.
Von 1991 bis 1995 war Edo Popović einer der bekanntesten Kriegsberichterstatter Kroatiens, anschließend veröffentlichte er mehrere Romane und Erzählbände. Er gilt als Kroatiens Stimme der Verlierer der gesellschaftlichen Transformation nach der Wende.
Von Edo Popović erschienen auf Deutsch (Übersetzung Alida Bremer): „Ausfahrt Zagreb-Süd“ (2006), „Kalda“ (2008), „Die Spieler“ (2009), „Mitternachtsboogie“ (2010) und zuletzt „Tattoogeschichten“ (2011) – alle bei Voland & Quist (Dresden / Leipzig)
Dienstag, 28. Februar 2012
DEPENDANCE OST präsentiert: Edo Popović / Kroatien
ORT: Buchkontor (1150 Wien, Kriemhieldplatz 1)
BEGINN: 19 UHR Eintritt frei
weitere Infos unter:
www.ulnoe.at bzw. www.buchkontor.at